Vom Gallenstein zum Diadem

Wir sind in dem Alter, wo man mit Kranken(haus)geschichten den Abend füllen kann. Oder versauen.

Was das Bild mit dem Text zu tun hat? Nichts. Es dient lediglich zur Ablenkung. Denn das nächste ist eklig.

Der Thomas hat Steine. Gallensteine, um genau zu sein. Und ganz genau muss man sagen: Er HATTE Steine. Denn inzwischen haben sie ihm die entrissen. Samt Blase. Die Steine von unschätzbarem Wert durfte er behalten.

Ich hab euch gewarnt! Und jaaa, das Foto ist schlecht. Aber wer macht schon 1a- Fotos noch im Aufwachraum, ge? Sowas hab ich noch nicht gesehen! Als er mir später sein Plastebecherchen mit den Dingern hinhält entfährt mir- also gleich, nachdem ich den Würgreflex unter Kontrolle hatte - ein:

Wow! Das Bernsteinzimmer ist wieder aufgetaucht!!! Gott sei Dank!

Auch Freund Dieter, dem ich ein Foto schicke, weil er schließlich vom Fach ist, ruft sofort sofort entrüstet: Die Klunker bringt ihr aber sofort wieder in den Dresdener Zwinger!

Er meinte dann auch, zusammen mit seinen Blasensteinen könnten die Beiden mir ein wunderschönes Diadem basteln.

Ach was hab ich gewürgt und gelacht, die letzten Tage! Wer den Schaden hat, … ge?

Der Patient derweil moniert sich über das Krankenhausessen. Nicht sofort. Erstmal ist er nach der verordneten Nulldiät nun froh, wieder was zwischen die Zähne zu kriegen. Auch wenns nur Schonkost ist. Das ist Schonkost und fettfrei????? frage ich als gelernte Krankenschwester ungläubig und starre auf Nudelsalat und Würstchen, die die Pflegekraft gerade hereinbringt. »Heut Mittag gabs Hähnchenkeule«, zuckt Tom die Schultern. Also gut, meine Ausbildung ist … ich rechne kurz nach … oh Gott, 28 Jahre her, aber aus Schonkost ist doch währenddessen keine schonungslose Kost geworden? Auf Nachfrage ernten wir nur ein: Das stimmt schon so. Na dann? Hau rein!

In den nächsten Tagen trudeln immer mal witzige Fotos vom liebevollen Krankenhausessen ein und ich sehe förmlich, wie Toms Zähne immer länger werden. Auch wenn sein Gesicht gar nicht mit auf den Bildern ist. Das muss so sein! ermahne ich ihn. Stell dir vor, du dürftest hier den ganzen Tag im Bett liegen und Fernseh kieken und dann kommt 3x am Tag noch n Sternemenü. Kein Mensch würde jemals wieder heim wollen.

Seine Fotos jedoch erinnern mich an meine eigenen Krankenhauserfahrungen und den langjährigen Vorsatz, einmal darüber zu schreiben. Und so sind Toms Gallensteine Auslöser für diesen Artikel. Danke Tom. ;-)

Ich muss weit hinten kramen, denn meinen ersten Krankenhausaufenthalt hatte ich mit 16. Damals war ich Schwesternschülerin auf der Inneren und sollte eigentlich am Wochenende arbeiten. Aus irgendeinem Grund fing jedoch meine Pumpe an zu spinnen (eine Folgeerkrankung) und ein mieses EKG beförderte mich ins Bett. Auf eben der Station, wo ich meinen Dienst antreten sollte. Eijeijei. Als Schwesternschülerin warst du eh ne arme Wurst, als Dienstverweigerer allerdings….eine Pestbeule.

Verachtung. Pure Verachtung sprang mir entgegen. Zur Strafe für mein unkollegiales verhalten packte man mich in ein sympathisches 6- Bett- Zimmer. Dazu machte man sich glatt die Mühe, eine andere Dame zu verlegen. Ich erinnere mich genau an die große, kalte Bude mit dem einen Waschbecken, für das es zu dem Zeitpunkt noch nicht mal Vorhänge gab. Die wurden erst nach der Wende eingeführt und noch viel später gabs sogar eigene Bäder zu den 2- und 3-Bettzimmern. Wat´n Luxus! Damals spülten wir brav unser mitgebrachtes Besteck (könnt ihr euch an die Bestecktaschen erinnern?) im Waschbecken, putzten nacheinander die Zähne und wuschen uns mit Seiflappen peinlich berührt das Nötigste. Ebenso peinlich berührt guckte der Rest währenddessen jeweils in sein Buch oder stellte sich schlafend.

Schlimmer jedoch war meine rechte Bettnachbarin. Ich kannte sie von verschiedenen Stationen als Dauerpatientin. Nicht besonders helle, ungepflegt und übel riechend war sie vor Allem in den kalten Jahreszeiten Stammgast. Man vermutete, dass es im Krankenhaus einfach aufgeräumter, wärmer und interessanter war, und gut zu Essen gab es auch. Die Gute festigte diese Mutmaßungen, in dem sie am Tag ihrer Entlassung verlässlich einfach irgendwo umfiel. Das sicherte ihr mindestens zwei weitere Tage. Milde lächelnd verpasste man ihr daraufhin Placebos und Kochsalz- Injektionen, die ihr ausgezeichnet halfen.

Nun lag sie also neben mir. Beim Abendessen strich sie sich eine Büchse Fisch in Tomatensoße auf die Brote und wickelte sie in ihr Geschirrtuch. Nicht zusammengeklappt! Nein, einfach so zwei große Stullen ins Tuch geschlagen und- jetzt kommts!: unters Kopfkissen geschoben. Würg!

Des Nächtens wurde ich wach von ihrem Geruschel, machte mein Nachtlicht an … Und da saß sie. Im Stockedustern, vor sich das ausgebreitete Handtuch und genüsslich ihre Fischstullen kauend. Jaaaa, das war echt schön und hat sich eingebrannt. (Und vielleicht habe ich deshalb nie wieder Büchsenfisch gegessen.)

Einige Jahre später lag ich im selben Haus auf der Gynäkologischen. Was für ein Albtraum! In meinem Zimmer eine Durchgeknallte und eine geistig Minderbemittelte. Die Durchgeknallte hat sich im Stundentakt- auch nachts wohl bemerkt- abgeschminkt und neu geschminkt. Flutlicht an, aus, an, aus. Zwischen ihren Schminkaktionen hat sie mich geweckt, um mich zu fragen, ob ich auch ne Tablette wolle. Ohne zu hinterfragen, welche Tabletten sie denn so im Angebot habe, lehnte ich dankend ab.

In der zweiten Nacht saßen die beiden Zimmergenossinnen wie Teenager auf einem der Betten im Schneidersitz und erzählten sich ihre Leidensgeschichten. Die Durchgeknallte erzählte von ihrer Tablettensucht (Ach nee!) und ihrem letzten Klinikaufenthalt in Brandenburg. Die Andere von ihrem Mann, der Alkoholiker sei und auch vor Kurzem zum Entzug in Brandenburg weilte. Wie sich herausstellte, war die Durchgeknallte nicht nur zeitgleich wie der Alkoholiker dort, sondern hatte dort auch ein Techtelmechtel mit dem Kerl.

Und während sie da saßen und sich über den Sex mit ihm austauschten, als würden sie über Kochrezepte plauschten, zog ich mir die Decke über den Kopf und betete zum lieben Gott.

Als mich am nächsten Nachmittag mein damaliger Freund besuchen kam, ist die Durchgeknallte gerade wieder frisch geschminkt und bestens gelaunt. Sie bot ihm erstmal eine Tablette an und erzählte dann blumig von ihren nächtlichen Erkenntnissen und was es doch für Zufälle gäbe. Er guckte mich immer wieder irritiert an und ich gab ihm mimiklos zu verstehen: Tja mein Guter, da kann ich dir grad nicht helfen. Kurz darauf berichtete sie ihm ungeniert von den Pilzen, die sie sich im Solarium immer einfange und rieb demonstrierend ihre Hände am Geschlechtsteil, um den Juckreiz zu simulieren.

Mein Freund guckte, als hätte er gerade den Leibhaftigen gesehen, nuschelte irgendwas von »Bescheid sagen, wenn ich nach Hause dürfe« und türmte, so schnell konnte ich gar nicht gucken. Auf dem Schoß hielt ich seine Blumen, die es noch nicht mal in die Vase geschafft hatten. Verständnislos guckten mich zwei durchgeknallte Augen an und ich war kurz versucht, ein paar von ihren Tabletten zu schlucken.

Eingebrannt hat sich auch mein Aufenthalt nach Josephs Entbindung. Fix und fertig lag ich damals in meinem Bett und hörte durch drei Türen das Geschrei einer Gebärenden. Sie fluchte unflätig und ich bekam es direkt mit der Angst. Später schob man sie zu mir ins Zimmer. Natürlich. Während ich verliebt mein Kind betrachtete, bat mich die neue Mitbewohnerin, mal nach ihrem Spross zu gucken, sie müsse jetzt erst mal rauchen gehen. Na warum auch nicht.

Am Abend hörte ich auf dem Flur einen Herrn nach seiner Frau fragen, worauf sie neben mir durch die geschlossene Tür brüllte: Ick bin hier! Daraufhin kamen ihr Mann (in Gummistiefeln) und die Schwiegermutter ins Zimmer. Meine Bettnachbarin schrie ihren Mann weiter an,

er könne sich sein Ding jetzt amputieren, SIE ! NICHT! NOCH! MAL!!!!

Mir fielen fast die Augen raus und mein Säugling fing an zu weinen. Alle Achtung. Aber: Jaaa, so frisch nach den Höllenqualen brauch einem Keiner mit weiteren Kinderwünschen kommen. Immerhin ist es diesmal endlich ein Junge und man fängt an, sich Gedanken zum Namen des Kindes zu machen. Vielleicht war einfach vorher nie die Zeit. Schwiegermutti hatte dann die zündende Idee, sie könne ja mal beim Frauenarzt kieken, da läge doch immer die Liste der beliebtesten Namen des Jahres. Aaaah ja. (Diese Taktik würde zumindest erklären, warum es Benjamin und Alexander immer wieder in die Top Ten schaffen.)

Dann musste ich noch mal ins Krankenhaus wegen ner fiesen Mandel- Abszess- Geschichte, einmal nach ner Oberarmfraktur und dann … ach ja, wegen der Nieren. (Also so gebündelt erscheint mir das doch ganz schön viel. Eijeijei.) Da wurde ich sogar mit dem Krankenwagen kutschiert. Großes Kino. Der Rettungssanitäter war amüsiert und meinte immer wieder, es wäre ihm unklar, wie man trotz solcher Schmerzen noch Humor aufbringen könne. Wahnwitz. Purer Wahnwitz.

Als ich mich in meinem zugewiesenen Zimmer aufs Bett setzte, schnarrte mich die Schwester an, ich werde mich ja wohl nicht mit meinen Straßensachen aufs Bett setzen! Keime! Überall Keime! Ooooh! Ist ja gut! Als sie mich am nächsten Tag zum Frühstück an den Tisch zitierte, an dem schon die alte Dame aus dem Bett neben mir saß, verwies ich auf den Nachttopf eben dieser Dame, der auf dem freien Stuhl geparkt war. Ich fragte die Schwester vorsichtig, ob sie das jetzt hygienisch einwandfrei fände, wenn ich mich da jetzt mit meinem Nachthemd…. Neiiin, man macht sich mit sowas keine Freunde.

Nach meiner sofortigen OP lag ich später in meinem Zimmer und starrte noch leicht narkotisiert auf meinen Tropfständer. Vom Hof wummerten Bässe. Heute ist Sommerfest, erklärte mir eine Schwester. Im Krankenhaus? Für wen? Ärzte, Pfleger UND Patienten? Ich fand das irgendwie lustig bis schräg. Und wie ich mir lauter Arztkittel und Bademäntel vorstelle, Rollstühle und Betten aufgereiht vorm Bierwagen, legt mir die Schwester meinen Katheterpass hin. (Man hatte mir ein Röhrchen (Katheter) eingesetzt, durch den sich hofftl. die Nierensteine verdünnisieren sollten.) Ok. Was sollte ich jetzt bitte damit? Es gab keine Erklärung dazu. Und so sah ich mich mit offenem OP- Hemd und Netzschlüpfer, Thrombosesocken und Tropfständer durch die Menge am Bierwagen schieben, um dann unter dem protestierenden Genöle der Anderen beherzt meinen Pass auf den Tresen zu knallen. Ein großes Bier! Aber Dalli!

Großartig, oder?

Als ich 3 Wochen später wieder ins Krankenhaus muss, um das Röhrchen entfernen zu lassen, schickt man mich in mein »altes« Krankenhaus. Also in das, in dem ich gelernt hab. Ach hab ich mich da immer wohl gefühlt, weil es einfach sehr familiär war. Früher. Zu » Ostzeiten«. Nachdem die alte Öse nämlich in Rente gegangen war, war es sogar auf der Inneren wunderbar.
Ich war da so gern, dass ich selbst dann zum Essen rüberging, wenn ich frei hatte. Zum Abschied gabs sogar ne kleine, von der Station organisierte Sause, auf die meine Kommilitonen etwas neidisch waren. Aber meine Erlebnisse als Schwesternschülerin krame ich ein anderes mal hervor. Versprochen.

Nach 25 Jahren also betrat ich zum ersten Mal wieder das Krankenhaus. Alles neu, alle umgezogen in einen modernen Neubau. Und grad denk ich noch, ob mich wohl irgendjemand erkennt…, da kommt mir auf dem Gang eine nun ältere, aber noch immer attraktive Blondine entgegen, stutzt kurz, breitet die Arme aus und ruft: Katrin! Ich fasse es nicht. Unsere Arztsekretärin von der Inneren. Wir freuen uns beide ehrlich. Wow!

Auch auf der Station und beim Röntgen begegnen mir alte Bekannte, die mich sofort zuordnen können. Verrückt. Abartig wirds dann im OP. Ich liege im Flatterhemd, halb benebelt, Haube aufm Kopf, Beine gespreizt, nackt, Unterleib Richtung Schleuse. 2x schwingt diese auf und 2x sagt jemand grün Vermummtes, mir die Wade tätschelnd: He! Hab schon gehört, dass du hier liegst und zu uns kommst! Lieber Gott! Hinterher erzählt man mir, ich hätte bis zum Tiefschlaf genuschelt: Wie entwürdigend! Oh wie entwürdigend!

Schon als ich mein Zimmer bezogen hatte, erkundigte ich mich beim Personal nach Gardinen, Vorhängen…irgendwas. Das Haus, u- förmig angelegt und mit großen Fenstern…und ich so in der Mitte. Ungeschützt und auf dem Präsentierteller. Man erklärte mir, ich läge im Infektionszimmer und letzte Woche war hier einer drin…der, naja sie hätten halt hinterher auch die Gardinen und so in die Desinfektion bringen müssen. Jaaa, das beruhigt.

Nach der OP lag ich in meinem Bett, dass ich nur ungern verließ in diesem Outfit. Also wegen der großen Fensterfront. Dann betrat ein Handwerker den Raum, stellte eine große Leiter auf und hängte tatsächlich Gardinen an. Ähm….hat sich jemand beschwert? frage ich und deute auf die gegenüberliegenden Zimmer da draußen.

Er verstand meinen Humor nicht und tat einfach mal so, als hätte ich gar nichts gesagt. Ist ja auch ne Taktik.

Das Essen war. Nun ja.

Bevor ich entlassen wurde, machte eine russische Ärztin, die ihrem Ton nach früher Soldaten befehligt haben musste, noch einmal Ultraschall. (Stellt euch bitte ihren Akzent vor, ich weiß nicht, ob ich das schriftlich gut umsetzen kann.) » Iiiist noch bissschän Gries in Niere! Mussn Sie aufpassän! Aha. Was heißt das? Dass Sie mussän bäobachtän! Aha. Und wie stelle ich das an? Sie guckt angenervt. Oha. Ich verrenke mir den Hals und versuche, mehrere Sekunden auf die Stelle zu starren, wo ich meine linke Niere vermute. Ooooh, da war ich dann aber froh, dass wir nicht bei der Armee sind, denn ihrem Gesichtsausdruck nach hätte sie mich jetzt gern erschossen. Ich rief noch ein: Na mir wird schon was einfallen! über die Schulter, während man mich aus der Tür schob.

Und falls ich jemals wieder in irgendein Krankenhaus muss: Ich hoffe, keine Schwester fühlt sich durch mich angegriffen. Wir halten fest: Es sind doch eher die Mit- im Zimmer- Lieger, die einen in den Wahnsinn treiben können, ge?

Allen Schwestern, Pflegern, Ärzten dieser Welt: Ihr habt einen anstrengenden Job. Um nichts in der Welt möchte ich tauschen.

Ach, ich bin ne Schleims…!