Prokrastinadings

Von der Gabe, das Gute im Morgen zu sehen. Oder so.

Vorwort

Prokrastination.

Die. Lateinisch »procrastinare«. Zusammensetzung aus pro (=für) und crastinum (=Morgen). Umgangssprachlich nennt man das auch Bummelei, Aufschieberitis oder Drückebergeritis.

Es handelt sich um eine pathologische Störung, die durch ein unnötiges Vertagen des Beginns oder durch Unterbrechen von Aufgaben gekennzeichnet ist, sodass ein Fertigstellen nicht oder nur unter Druck zustande kommt. So Wikipedia.

Schwieriges Wort, dieses Prokrastination. Genauso schwer zu sprechen, wie sich dagegen zu wehren. Und nicht zu verwechseln mit der Prokastration, ge?!

Dass es einen Begriff dafür gibt, weiß ich erst seit einiger Zeit. Seitdem hat mein Leiden einen Namen.

So viel vorweg.

Gestern Abend bin ich früh ins Bett. Also zumindest relativ für einen Samstag Abend, denn mit dem Wissen, am nächsten Tag ausschlafen zu dürfen trödele ich dann doch. Halb eins war es, als ich das Licht löschte. Halb zwei hab ich es wieder angeschaltet, weil mir so viele Ideen kamen, die ich unbedingt notieren musste. An meinem Bett liegt deshalb immer ein Block und ein Stift. Ich Fuchs.

Am Morgen (7.15 Uhr und irgendwie zu früh für einen Sonntag) wecken mich die blöden Spatzen. Ich weiß nicht, wer mal behauptet hat, es gäbe weniger als früher. Kann ich nicht bestätigen. Oder: Sie sind jetzt alle hier. In den Hecken auf dem Hof lärmen hunderte. 30 sitzen über meinem Kopf auf dem Rand des angekippten Dachfensters und scharren mit ihren Krallen auf dem Glas, picken den Kitt aus den Fugen und nerven tierisch. Einer der Schreihälse scheint seinen Kopf ins Zimmer zu stecken und krakeeeeelt in einer Frequenz, die jede Fledermaus tot von der Decke fallen ließe.

Da aber die Sonne so schön scheint und ich ja eh viel vorhab, springe ich aus dem Bett. Früher Vogel fängt den Wurm. Und auf dem Zettel steht ne Menge Zeug……., das ich verdammt noch mal nicht entziffern kann. (Passiert mir leider öfter, wenn ich im Halbschlaf ohne Brille eigenartige Zeichen in den Block krickel.)

Hochmotiviert kleide ich mich warm aber wenig ausgehtauglich und steige die Treppen nach unten, um mir einen Kaffee zu kochen. Der muss sein. Ich trinke ihn draußen in der Sonne und freu mich des Lebens. Wie viel ich heute schaffen kann! So mal ganz allein daheim muss ich heute nicht einmal Mittag kochen! Yeeeaaaah!

Mir fällt der Wetterbericht von gestern Abend ein. Sturmwarnung. Orkanartige Böen sogar. Vielleicht sollte ich noch ein paar Vorkehrungen treffen. Noch mal den Holzvorrat im Haus auffrischen. Kann ja sein, dass ich es morgen nicht verlassen kann. Also stapfe ich in die Scheune und stapel mir die Karre voll, schiebe sie bis vor die Treppe und buckle alles in die Diele. Der Korb mit dem Anzündholz ist auch leer. War ja klar. Aber Anzündholz hacken ist keine Strafe, nicht mal für meinen Pubertisten. Also noch mal zum Holzstapel.

In die leere Karre packe ich anschließend sämtliche Töpfe, Windlichter, Deko, die leichter als 5kg sind und schiebe sie in die Scheune. Sicher ist sicher. Kurz überlege ich, jetzt endlich auch die Weihnachtbaumlichterkette abzunehmen, entscheide mich aber aus Zeitgründen dagegen. Ich will schließlich ins Büro. Und außerdem: Ganz sicher freut sich auch in Plänitz jemand über eine neue Lichterkette. Nee, Moment. Ich berechne noch mal die Windrichtung … Wusterhausen.

Auch meiner Nachbarin gebe ich noch den Tipp, unnützes Zeug später auf die Wiese zu stellen. Heute ist die beste Gelegenheit, kostenlos Müll loszuwerden, ge?

Als ich erleichtert ob meiner Vorsorge wieder ins Haus gehe, schreien mich diese fiesen kleinen Holzspäne an, die beim Reintragen von meinem Arm bröselten. Puuh. Da muss ich wohl schnell noch saugen. Das heißt, dazu muss ich natürlich vorher noch die beiden Wäscheständer beräumen, die im Weg stehen. Also nehme ich noch die Wäsche ab und sortiere sie in zwei Körbe. Einer geht später in Richards Zimmer, einer kommt mit nach oben in mein Reich. Das spart Zeit. Ich Fuchs.

Beim Saugen amüsiere ich mich wieder über die kleinen Konfettischnipsel, die noch immer täglich irgendwo auftauchen. Dabei ist meine Party zehn Wochen her! In den Dielenritzen tauchen sie immer mal auf, in irgendwelchen Spinnweben leuchten sie plötzlich… und der kleine Teppich in der mittleren Etage hängt IMMER voll. Da bleiben scheinbar die hartnäckigen Papierchen von den Socken hängen wie an nem Klettverschluss. Das ist echt praktisch.

Katrin! Nicht ablenken lassen!

Also sauge ich. Nicht nur den Weg von der Tür bis zur Holzkiste, sondern die ganze riesige Diele, das Bad, die Küche … die Spinnweben an den Deckenbalken … ein paar Treppenstufen… So weit mein Kabel eben reicht.

Huch! Beinahe sauge ich ein Eurostück weg, kann es aber noch retten. Und damit es nicht verloren geht, greife ich meine Handtasche und steck es gleich mal ins Portemonaise. Oder schreibt man das jetzt Portmonee? Ich könnte googln … Nein! Kannst du nicht. Geld in die »Börse« und weitersaugen bitte!

Und schon ertappe ich mich dabei, wie ich meine Handtasche entrümpel. Also das ist echt unglaublich. Geht euch das auch so? Seitdem mein Sohn allerdings vor Jahren nach irgendwas suchend die Hand in meine Handtasche steckte, sie sofort wieder hochriss und angewidert rief: »Oh Gott! Ich muss meine Tetanus- Impfung auffrischen!« geb ich mir wirklich Mühe, sie alle paar Wochen zu sortieren. Dazu kippe ich alles aus. Anders gehts nicht. Ehrlich. Früher hätte ich behauptet, ich könne mit meiner Handtasche locker zwei Wochen in der Wildnis überleben. Das ist seit dem Spruch meines Kindes nicht mehr so. Ich bemühe mich.

Weil ich mich jetzt aber nicht unnütz ablenken will, sammel ich nur das Kaugummipapier aus dem vordersten Fach und bringe es in die Küche zum Mülleimer.

Der wiederum ist unter der Spüle, aus der mich die eingeweichte Pfanne von gestern Abend angrinst. NATÜRLICH knöpfe ich mir die erstmal vor! Räume auch den Geschirrspüler ein, wische die Arbeitsflächen sauber … und den Kühlschrank oben drauf … das Regal … schmier mir zwischendurch mal ein Brot, denn gegessen hab ich heut ja auch noch nix… und mach dann doch erstmal den Staubsauger aus, der da noch in der Diele brüllt. Ich dachte, wenn ich ihn anlasse, fang ich nix anderes an. Pahh! Und da denkt man, man kennt sich. Tzzz!

Beim Brote schmieren waren mir die Hähnchenkeulen ins Auge gesprungen, die ich erst heut Abend zubereiten wollte, wenn das Kind wieder da ist. Hab ich mich nicht vorhin noch gefreut, dass ich nichts zum Mittag kochen muss? Hmmm, aber wenn ich die Dinger jetzt schon vorbereite, hab ich nachher zum Schreiben mehr Zeit. Und man stelle sich vor, wir haben wegen des Orkans Stromausfall! Dann hab ich wenigstens die Hühnerbeene fertich! Ich Fuchs!

Und so bereite ich mal noch fix das Abendbrot vor.

Als ich hinterher den Schwamm greife, um das Spülbecken mit diesem guten Spezialreiniger zu schrubben, fällt mir mein Vorsatz ein. Als wäre der Schwamm glühende Lava, lasse ich ihn fallen und flüchte aus der Küche.

Duschen und dann aber wirklich an den Rechner!

Ich balanciere beide Wäschekörbe mit in die oberen Etagen. Keine Leerfahrten! Oder Gänge in dem Fall. Ich verteile sie auch gleich in den Schränken. Wenn das hier rumsteht, lenkt mich das später nur ab. Grad so kann ich mir verkneifen, die Klamotten auszusortieren. Oben drauf liegt nämlich wieder dieser dämliche Pulli, den ich nicht mehr ausstehen kann. Und da fände sich sicher noch mehr Zeug, was weg darf.

Aber nicht heute! Kaaaatriiiin!

Mein Wohnzimmer sieht aus, als hätte ich Besuch gehabt. Ich räum mal kurz auf. Kann ich ja gar nicht leiden! Aber am Abend zuvor bei Chips und Schoki und nem Glas Wein und nem Buch und zwischendurch Dieter Bohlen (ja, sorry) … hatte ich mich gefühlt wie ein Teenager, dem die Eltern zum ersten Mal allein das Haus überließen. Herrlich.

Beim Blick in den Spiegel wird klar: heute »Duschen mit Haare«. Diese Unterteilungen von Mario Barth finde ich, auch wenn er sonst nicht grad mein Lieblingscomedian ist, genial. Zitat: Bei seiner Frau (und somit bei allen anderen vermutlich auch) gibt es drei verschiedene Duschvarianten. Duschen, Duschen mit Haare, nur Haare. Jipp!

Duschen mit Haare ist bei mir alle zwei Tage dran und etwas zeitaufwändiger als nur Duschen. Blöd, dass grad heut die Haare dran sind! Dafür brauch ich mich eigentlich nicht schminken. Kommt ja kein Besuch. Oh Gott. Das wärs. Wenn ich endlich am Rechner sitze und es dann plötzlich klingelt. Kaffeebesuch. Andersrum… so ordentlich und sauber wars schon lange nicht… Nein! Nein! Nicht die Freundesliste durchgehen!

Der Nagellack hat bei meinen Aktionen ganz schön gelitten. Und wenn ich etwas nicht leiden kann, sind es abgeblätterte Nägel. Also hole ich noch den Nagellackentferner raus. Aus Versehen begegnet mir dabei mein Blick im Spiegel. Guck ich etwa vorwurfsvoll? »Was!?« frage ich mich provokant »Wenn ich beim Tippen da nachher immerzu drauf guck, kann ich mich nicht konzentrieren!« Die Katrin im Spiegel leiert mit den Augen.

Soooo. Geduscht, gefönt, angezogen. Ungeschminkt. Dafür die Bude ordentlich. Gut gelaunt betrete ich mein Büro. Och nöö, das is ja saukalt hier! Ich hatte am Morgen vergessen, die Heizung hochzudrehen. Und da ich eh IMMER!, sogar im Hochsommer am Rechner friere … dreh ich mal den Regler auf viereinhalb und hab jetzt nochn knappes halbes Stündchen, bis es hier warm ist. Da könnte ich ja mal noch was Essbares suchen. So ein Stüllchen ist ja nicht die Welt, wenn man so viel schafft, wie ich, ge?

Leider ist in der Zwischenzeit der Ofen ausgegangen, weil ich es verpasst habe, nachzulegen. Also noch mal von vorn. Bis das Anzündholz ordentlich knistert,schmiere ich mir noch einmal Brote und setze einen Yogitee auf. Bis der fertig ist, gehe ich mal nach draußen, um die Lage zu checken. Oh ja, es ist ganz schön windig jetzt. Per Handy bitte ich mein Kind, heute nicht erst abends zu erscheinen, wenns richtig stürmt.

Mein Willkommensschild hat es derweil von der Tür auf den Rasen geweht. Ich halte es auf und muss schmunzeln bei der Vorstellung, beim nächsten Besuch meiner Freundin in Plänitz auf das Herz an ihrem Hoftor zu zeigen und zu sagen: »Verrückt. So eins hatte ich auch mal. ... Und die Lichterkette im Flieder? Schlampig drapiert!«

Weil die Sonne aber so schön scheint und ich starken Wind liebe, halte ich mein Gesicht noch kurz ins Licht und lasse mich ordentlich durchpusten. Ich liebe nicht nur Wind, sondern überhaupt diese Naturgewalten. Gewitter z.B. kann gar nicht stark genug ballern. Das macht mir keine Angst, sondern Freude.

Das kurz war wohl doch ein bissl länger, denn mein Tee ist fast im Topf verdunstet. Rechtzeitig zerre ich den Topf vom Herd. Mist.

Wieder zurück im Büro stehe ich mit einer Pfütze Tee und drei Schnittchen am Stuhl und starre auf den PC. Schön warm ist es jetzt hier. Aber ............

Ich hab keine Lust.

Echt nicht. Von oben höre ich mein Sofa schreien. Und das spannende Buch, das ich gestern anfing zu lesen. Und verdammt noch mal! Heut ist SONNTAG! Da darf man ja wohl mal faul sein! Und dabei war ich das noch nicht mal! Ich hab ja was geschafft! Nur halt nicht das, was ich wollte.

Ich drehe also die Heizung im Büro wieder runter und erlaube mir nun, den Nachmittag zu genießen. Aufm Sofa. Mit nem Buch. Ein Schläfchen vielleicht. Dem Sturm lauschen. Immer in der Hoffnung, dass das Dach nicht abhebt. Oder es an der Tür klingelt.

Wehe!