Einmal Vilnius und zurück/ Teil 2

Teil2 einer wunderschönen und völlig unspektakulären Städte- Reise

Vilnius Teil 2

Tag 3/ Sonntag

Die Nacht ist kurz und meine Hüftgelenke tun wieder so, als hätten sie in einem Zelt auf ner Isomatte verbracht. So quäle ich mich wenig erholt aus dem Bett. Schon vor dem ersten Blick in den Spiegel weiß ich, was mich erwartet. Hach, da isser wieder, der Horst Tappert. So schön verlässlich, der Kerl.

Duschen, anziehen, Gesicht anmalen. Ich muss unbedingt meine Beine eincremen, das sieht ja doll aus! So trockene Haut, dass es vermutlich durch die Strumpfhose stauben wird. Ich krame in meiner Waschtasche. Sie ist nicht da. Wer hat nur meine Tasche gepackt??? Ich starre auf meine Gesichtscremé. Soll ich? 30€ das Tigelchen! Ich hab Dollarzeichen in den Augen, nehme aber trotzdem eine kleine Menge auf die Fingerspitzen und reibe unter Tränen wenigstens die Knöchel mit dem teuren Zeug ein. Na und noch 10cm Wade. Das Stück zwischen Leggins und Turnschuh halt.

Da es in Litauen kein Ladenschlussgesetz gibt, haben alle Supermärkte auch sonntags auf und ich mach mich auf den Weg, um frische Brötchen zu holen. Weil ich noch ein Pullöverchen brauche, muss ich noch einmal ins Schlafzimmer schleichen. Und wie ich so im Koffer krame fällt mir Josephs Kulturbeutel- Sammelsurium in die Hände. Als erstes ein riesiger Bottich Nivea. Jetzt könnte ich wirklich heulen. Damit hätte ich meinen gesamten Körper 5x einfetten können! Mennooooo!

Mein morgendlicher Spaziergang jedoch tut gut. Die kleine Kirche vor dem Haus läutet gerade zum Gottesdienst. Die Straßen sind noch leer, nur vor einigen Cafés sitzen schon Leute und frühstücken. Ich mag diese Atmosphäre. In Kroatien beispielsweise stehe ich oft ganz früh auf und setze mich unter eine Platane am Marktplatz. Die Luft ist noch kühl und alles wirkt verschlafen. Erst langsam beginnt das Leben. Dann beobachte ich, wie die einzelnen Händler nach und nach ihre Stände aufbauen. Sie schnattern und lachen und klappern. Und dann kommt erst ein altes Muttchen und prüft die Nektarinen, dann ein zweites...irgendwann auch Touris und Zack, lebt der Marktplatz. Schön ist das.

Ich besorge also frisches Brot und Obst und bummel wieder zurück. Mein Sohn ist schon auf. Er liegt vor dem Sofa und ist zumindest mit einem Arm drunter verschwunden. Joseph! Da passt du nicht drunter! gebe ich gleichmütig im Vorbeigehn zu Bedenken und es klingt, als würde er sich im Stundentakt in irgendwelche Spalten zwängen. Ich höre nur ein gedämpftes: Lass es mich doch wenigstens versuchen! Da hat er natürlich recht.

Ich habe bereits den Tisch gedeckt, als er endlich wieder auftaucht. Mit seinem Handy in der Hand, dass ihm wohl von hinten durch die Sofaritze gerutscht war. Der Rockstar aus dem Nachbarhaus untermalt unser Frühstück heute mit Metallica- Klängen. Irgendwie cool. Und wie gesagt: Ich wohn ja hier nicht dauerhaft.

Wir amüsieren uns beim Verlassen der Wohnung wieder über den Schließmechanismus. Wusch Wusch Wusch Wusch Wusch. 5x schließen, sonst bekommt man nicht mal den Schlüssel raus. Immerhin sind auch die Fenster geschlossen und wir ziehen los.

An der Straße der Deutschen (ehrlich!) versuchen wir unser Glück an einem der Mietfahrradautomatendings. Man sollte doch meinen, dass das nicht so schwer sein kann. Die halbe Welt fährt mit nem Mietbike durch die Gegend! Aber wir sind zu blöd. Oder zu ungeduldig. Und haben zu wenig Vertrauen. Er will unsere Kreditkarten nicht. Das Prozedere ist unendlich und mein Entwickler, der genau sowas studiert- also Schnittstellen zwischen Benutzern und...ach egal- flucht. Ok. Wir laufen. Pahh!

Auf unserem Plan steht das National- Museum im Schloss der polnisch- litauischen Großfürsten. Sehr beeindruckend, zumal hier wohl bis vor einigen Jahren nur Ruinen standen und der Palast erst 2013 neu erbaut eröffnet wurde. Ich hab schon wieder Dollarzeichen in den Augen. Allein das Kellergeschoss, in dem die Mauerreste fast komplett überglast sind und mit unzähligen Liften rollstuhlfahrerfreundlich hergerichtet wurden...Wow.

Es lohnt sich jedenfalls.

Hinterher gönnen wir uns ein Eis und beobachten auf dem großen Platz wieder die Skater. Und irgendwie auch neidvoll Fahrradfahrer und E- Rollerfahrer. Und wenn so ne Kugel Eis 2€ kostet sollte man es sich unbedingt aufs Shirt klatschen. Das mach ich dann auch gleich mal.

Weil sich dann der Hunger meldet suchen wir uns ein Restaurant. Aber am liebsten im Grünen, bitte. Bissl Seele baumeln lassen. Bei einem Bierchen. Da brauch ich Jöwes nicht lange überreden. Das mit dem Grün ist dann aber doch wieder kniffelig. Aber wir finden einen Park. Nicht einer der Schönsten, den ich jemals sah, nicht sehr kreativ angelegt, nicht übermäßig gepflegt...aber doch GRÜN.

Auf dem Weg dorthin und durch ihn hindurch ziehe ich alle 100m meine Schuhe aus. Irgendwas piekst unter dem Ballen. Wie ein Kiesel. Ich schüttel die Socken aus, krempel sie sogar um...nichts. Im Park gibt es ein überfülltes Restaurant. Wir ergattern einen der Plätze. Die Speisekarte ist russisch. Und ich kann wirklich nur noch den Wetterbericht. Und Katjuscha singen. Aber damit brauch ich der gestressten Kellnerin nicht kommen. Auf Nachfrage erhalten wir dann aber ein englisches Exemplar und ordern als erstes Bier. Und Salat, denn heute wie beschlossen: vegetarisch. Das mit dem Essen dauert wie vermutet ewig. Aber mit dem Bierchen geht’s. Und so habe ich Zeit, mir die Menschen an den anderen Tischen anzusehen.

Gerade setzt sich neben uns ein junges, hippes, wohlhabendes Paar um die 30 mit nem Säugling. Sie klapperdürr, blondierte wehende Haare, aufgebrezelt. Er lockiges Haar, Designer- Sonnenbrille, Schicki- Micki. Sie reden kein Wort. Spielen mit ihren Handys. Als der Säugling anfängt zu weinen, nimmt sie es aus dem Wagen und gibt ihm das Fläschchen. Ich vermute einen frühzeitigen Kaiserschnitt, damit der schöne Körper keine Schäden davonträgt, denn ihr Bauch ist flach und das Kind Minimini. Und Stillen versaut die Brüste, deshalb Flaschennahrung. So zumindest mein zugegebenermaßen mieses Vorurteil. Schublade auf. Schublade zu.

Zeitgleich auf dem Handy tickern, Selfies machen und Kind füttern ist schwierig, dabei hängen dem Kind permanent ihre Haare im Gesicht. Er isst. Mit Handy. Und ich könnte rübergehen und zumindest IHN kurz mal mit der Stirn in sein Essen tauchen. Aber mein russisch...

Als er fertig ist, steht er schweigend auf, packt das Kind in den Wagen und schiebt los. Immer mit einem Blick aufs Handy. Und weil das Kind nun heult, stopft er sich Kopfhörer in die Ohren und spaziert los. Nun kann auch die junge Mama in Ruhe essen und ungehindert Selfies machen. Ich spüre meine Kieferknochen aufeinander reiben. Aber bevor ich mich auslasse guckt mir mein Sohn tief in die Augen und bittet mich: Setz. Dich. Bitte. Einfach. Mit. Dem. Rücken. Zu. Denen. Na wer soo lieb bittet!? (Vermutlich war ich einfach nur unterzuckert.)

Das Essen ist köstlich. Aber irgendwie auch nur ein Appetitanreger. Und Getränke gibt’s nicht noch mal, weil die Kellnerin uns gekonnt ignoriert. Ich versteh das natürlich. Da warten schließlich noch mehr Gäste auf unseren Tisch. Da muss man sich nicht festsetzen. Aber auch die Rechnung bringt sie erst, als wir eine Flucht simulieren. Das ist doch immer wieder eine praktische Taktik.

Wir schlendern also weiter durch den „Park“. Und wieder muss ich mich auf eine Bank setzen und die Schuhe ausziehen. Joseph verleiert die AUgen, ist dann aber doch fasziniert von der herrlichen Blase, die sich da unter meinem Fuß aufbläht. Er hat sogar ein WOW für mich übrig. Ich kann sogar den Verursacher ausfindig machen. Kleine Knötchen auf der Einlegesohle. Na wie schön. Jetzt wird das Laufen mit jedem Schritt unangenehmer. Als wir den Park verlassen und über Kopfsteinpflaster laufen, muss ich kichern. Jöwes, das ist, als hätte ich n Luftpolster unter den Füßen! oder ein Wasserbett. Und bei jeder Delle verschiebt sich das Teil. Au Au Au mache ich bei jedem Schritt. Dann quietsche ich einmal kurz auf und Joseph ruft wissend: Die Fruchtblase ist geplatzt! Jaaa, so ungefähr. Ich habs wirklich knallen gehört! Kacke.

Humpelnd erkunden wir grob das Künstlerviertel Užupis. Eine selbsternannte Republik, als Kunstaktion ins Leben gerufen, mit eigener Flagge, Präsidenten und Verfassung. In der stehen Dinge wie: Jeder Mensch hat das Recht, am Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen. Oder: Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet. Also damit kann man leben, oder?

Das Viertel betritt man über eine Brücke. Bestimmt schön, aber mein Fuß verlangt volle Aufmerksamkeit. Erlösend lenkt mein Sohn unseren Weg Richtung Fluss. Lass uns ans Wasser setzen, da kannst du die Blase bissl kühlen. Ich bin dankbar. Und während ich meine Beine ins eiskalte Wasser halte und seufze, halte ich Ausschau nach diesen kleinen hornhautfressenden Fischen, die sich eventuell auf meine Blase stürzen könnten. Mein Sohn verschwindet im Gebüsch, um Pipi zu machen.

Als er dann wieder neben mir steht grinst er irgendwie dämlich. Ich gucke 2x zu ihm hoch. Was ist? Mit zusammengebissenen Zähnen sagt er: Ich bin in Kacka getreten. Ich glaub, in Menschenkacka. Und wie er da so steht wie ein hilfloser 5jähriger könnte ich mich hinschmeißen vor Lachen. Tja Jöwes, wir werden es nie erfahren, denn ICH halte meine Nase nicht an deine Schuhe.

Dann starren wir planlos und angewidert 10 min auf die in sicherem Abstand geparkten Turnschuhe. Was brauchst du? frag ich. Nen Kugelschreiber? Kreditkarte? Wir könnten einen Touri fragen! Wir können uns bei der Vorstellung kaum einkriegen. Naja, sag ich, dann stehen die Dinger bis zum Abflug vor der Tür. Und vielleicht können wir sie beim Rückflug draußen an den Flieger binden.

Auf dem Heimweg geben wir ein ziemlich schräges Bild ab. Ich humpel und mache bei jedem Schritt Au... Au... Au. Und Jöwes zieht sein Bein nach. Aber mehr so über jedes Stück Gras und jede Bordsteinkante.
Aber: Uns kennt ja hier keiner.

Wir streifen erneut den großen Platz. Lass uns in die Basilika gehen, schlägt Joseph vor. Und weil man manchmal einfach Glück hat, findet dort gerade ein Gottesdienst statt. Wir setzen uns in eine der hinteren Reihen. Obwohl wir kein Wort verstehen klingt die Predigt wundervoll. Die Sprache passt irgendwie sogar besser als unsere zu den Gebeten.

Wir sind andächtig. Als dann der Chor eintritt und anfängt zu singen bekomme ich Gänsehaut. Aber als dann die Orgel über uns die Choräle begleitet zerreißt es mich fast. Ein Blick zu Joseph bestätigt: Ihm geht es genauso. Diese kraftvolle Energie ist fast greifbar! Uns laufen die Tränen. Ich bin es selten, aber jetzt bin ich es: sprachlos. Voller Demut und Dankbarkeit.

Wir brauchen eine Weile, um wieder zurückzufinden in die „Realität“ und gehen später ein Stück schweigend nebeneinander her. ((Und eigtl. wollte ich an dieser Stelle ein kleines Video einbauen. Aber ich bin wieder zu blöd und muss auf Josephs Hilfe warten. Wird nachgeliefert!!! ;-))

Aber dann regt sich Hunger und wir steuern eines der Restaurants an, die wir bereits am ersten Abend ins Auge gefasst hatten. Ich breche mein “Heute-kein- Fleisch- Gelübde“. Ich bin verliebt in diese Zeppelinos. Joseph bleibt tapfer. Der Streber. So ganz begeistert sind wir nicht von unserem Mahl, da hat die Location mehr versprochen.

Aber weil mir auch mit der 5ten Decke, die immer so schön auf den Stühlen verteilt sind, furchtbar kalt ist, verbummeln wir uns zeitnah in Richtung Appartement. Ist ja auch schon fast wieder Mitternacht, ge?

Montag.

Ich habe schlecht geschlafen. Gefühlt gar nicht. Der Joseph hat geschnarcht. Und behauptet es umgekehrt von mir. Tzzzz!

Und weil ich am Abend meine Allergietablette vergessen hab werde ich schon gegen 5 wach mit einem Nieser. Prima. Das heißt, ich kann aufstehen, denn an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Damit der Joseph nicht auch wach wird, stehle ich mich aus dem Schlafzimmer. Ich guck gar nicht erst in den Spiegel, denn selbst Horst Tappert würde mich wahrscheinlich auslachen.

Heute gibt es kein Gitarrenspiel zum Frühstück. Wir vermuten, dass der Künstler noch nicht komplett von seinem Geschrammel leben kann und einer ordentlichen Arbeit nachgeht. Dafür rennen an unserem Fenster kreischende Kindergartenkinder vorbei, die ihren Spielplatz direkt nebenan haben. War uns noch gar nicht aufgefallen. Aber es war ja auch Wochenende. Das Gekreische nervt genauso wie auf deutsch sag ich gespielt zickig und wir feixen, weil wir zu gern nörgelnde Dumpfbacken imitieren.

Da mein Fuß sich vor einer langen Wanderung sträubt, beschließen wir, eine Stadtrundfahrt zu machen. Das machen wir eigtl. sonst am ersten Tag, aber irgendwie...tja, keine Ahnung. Das kann man spießig finden, aber es ist doch recht praktisch, sich erst einen Überblick zu verschaffen, die Stadt als Ganzes zu sehen und dann zu entscheiden, was man gern anschauen möchte.

Wir zotteln also wieder zum großen Platz, ordern Tickets und warten. Als es soweit ist, trampeln die Touris vor dem Bus aufgeregt hin und her. Fragen, ob sie schon mal ihre Jacken auf die Plätze legen dürfen. Ich krieg gleich wieder einen dicken Hals.

Als der Busfahrer die Tür frei gibt, trampeln sie ihn fast tot. 18 Sitzplätze, 10 Leute. Sollte doch klappen. Boah, und schon ging das los. Die reservierten Plätze fand man dann doch nicht so toll. Jeder setzte sich mindestens 3x um, bevor es überhaupt losging. Nach vorne zum Fahrer, alle hintereinander links ans Fenster, dann doch rechts, wieder links. Schließlich war das Verdeck DA zu und die Sonne schien schön auf DIESEN Platz. Ich hätte am liebsten ne Trillerpfeife rausgeholt und einmal laut reingeblasen. Hinsetzen! Alle!!!!

Und wie das Schicksal dann so spielt macht der Busfahrer allen Schlaumeiern einen Strich durch die Rechnung. Er öffnet nämlich vor der Abfahrt alle Verdecke und fährt tatsächlich nicht nur im Kreis, sondern so, dass schon beim ersten Abbiegen die Sonne auf der anderen Seite des Busses reinscheint. Verdammt. Also alle wieder hoch, umsetzen. Reise nach Jerusalem, zuckt Jöwes die Schultern.

Aber die Tour ist schön, die Ansagen im Kopfhörer immer etwas zu früh oder zu spät und das Deutsch witzig. Wir entdecken Vilnius noch mal neu und merken uns Orte, an die wir unbedingt noch mal gehen wollen. Das Tor der Morgenröte z.B. ist das erste, was wir nach beendeter Fahrt aufsuchen. Ein altes Stadttor. Und jaaa, mit etwas Phantasie kann ich mich einfühlen in längst vergangene Zeiten.

Ein Stück weiter die viel gepriesene Heilig- Geist- Kirche aus dem 14.Jhdt., nach einem Brand im 18.Jhdt. im barocken Stil wieder aufgebaut, umgebaut, restauriert...Jedenfalls ist sie die wichtigste Kirche der Orthodoxen Litauens. Nebenan wohnen auf der einen Seite Männer, auf der anderen Frauen in Klöstern. Einen klitzekleinen Augenblick überleg ich, ob das gut gehen kann. Mönche und Nonnen? Ich fege den Gedanken weg mit einem: Pfui, Katrin!

Die Kirche ist von außen schön, von innen bombastisch. Wow. Solche Farbenpracht hab ich noch nie gesehen in einem Gotteshaus.

Zwei alte Mütterchen mit Kopftüchern und langen Röcken fegen tief gebeugt mit einem Reisigbesen den Boden. Das ist wie eine Zeitreise will ich gerade entzückt meinem Joseph zuflüstern, als eine der Alten sich Röcke raffend in eine Ecke hockt und ihr Handy herausholt. Zackig tippt sie auf dem Ding rum. Vermutlich twittert sie gerade irgendwas witziges.
Jetzt stubst mich Joseph an: Guck mal, der Pope bügelt da hinterm Altar! Tatsächlich. Herrliches Bild. Zu unserer Beruhigung erkennen wir beim vorsichtigen Anpirschen, dass er hier nicht seine Unterbuchsen glättet, sondern das Tuch auf dem Altar.

Das Viertel am Rande der Altstadt ist schön. Und weil der Junge noch bissl was für die Uni machen will, und ich nicht so gut zu Fuß bin, setzen wir uns in ein Café, schlagen Buch und Laptop auf und genießen die Sonne bei einem Bier. (Jaa, es ist schon nach 12.) Ich komme nicht zum Lesen. Ich beobachte. Eine englische Männertruppe, die 5 Tische zusammenschiebt und der Kellnerin hinterhergeiert, eine russisch sprechende Familie, die Unruhe verbreitet, eine Hundeleine, die sich um meine Stuhlbeine wickelt.

Unser Tisch ist nur durch ein Zäunchen von schlendernden Passanten getrennt. Durch die Menschen schiebt sich ein Pickup. Natürlich hält er neben unserem Tisch. Er steigt aus, schlendert zum nahegelegenen Souvenirshop, kommt wieder, lädt Werkzeug aus. Nein, eigentlich nur ein großes Brecheisen. Joseph kommentiert: Du, so ein Einbruch ist viel unauffälliger, wenn du es ganz auffällig machst. Ich lache nur kurz. Das ist ja wohl jetzt nicht wahr! ereifere ich mich. Die ganze Straße ist leer! Direkt vor dem Laden hätte er prima parken können. Oder an der Kirchenmauer, diiirekt gegenüber! Man parkt doch nicht halb im Restaurant! Ich könnte schreien.

Leider implodiere ich immer nur. Noch nie hab ich jemanden angemotzt. Denn ehrlich? Du könntest mit Engelszungen fragen, ob er nicht so lieb sein und da drüben parken könnte. Er würde sagen: Was für ne blöde Kuh. Stimmts? Aber er setzt noch einen drauf. Wahrscheinlich ist ihm jetzt eingefallen, dass er in einer Fußgängerzone nicht einfach parken darf und holt deshalb sein oranges Rundumlicht aus dem Fußraum. Und bappt es aufs Dach. Also fast in meiner Augenhöhe und nur 2m entfernt. Dann verschwindet er wieder mit dem Brecheisen. Mein Jöwes bricht fast zusammen und ich hätte mich gern selber gesehen. Mein fassungsloser Blick, alle 2 Sekunden von dem gelb- orangen Licht erhellt. Zum Glück bin ich kein Epileptiker, denn DAS jetzt hätte definitiv einen Anfall ausgelöst.

Joseph stellt fest. Jaaa, es gibt Leute, die sind empathisch wie....er sucht nach einem passenden Vergleich und ich helfe kurz weiter: eine Dresdener Schrankwand.

Ich finde ja, dass es durchaus die Aufgabe des Servicepersonals oder Restaurantchefs ist, so einen Monteur zu bitten, seinen Gästen nicht über die Füße zu fahren und epileptische Anfälle zu provozieren...Aber vielleicht irre ich mich auch. Es interessiert hier auch keinen Kellner, ob ich noch ein zweites Glas trinken möchte.

Ha! Oder dass seit 10 min. ein furchteinflößender Freak an unserem Tisch steht und bettelt. Sein Gesicht ist verschorft. Vermutlich hat er keinen festen Wohnsitz, mit Sicherheit aber keine Zähne oder einen funktionierenden Geruchssinn. Und so leid mir diese Seelen tun...Ich könnte mich grad übergeben. Die Masche ist natürlich rentabel. Das schlechte Gewissen eines Touris, der im Restaurant bei Pizza und Wein sitzt und nicht ignorieren kann, wenn ihn ein Randständiger anbettelt... da gibt man doch eher mal was, nicht wahr?

Ich weiß nicht, wie viele Zigaretten Joseph den Bettlern gedreht hat während unseres Aufenthaltes. Und gebettelt wurde in fast jedem Restaurant. Kommentarlos geduldet vom Personal. Wir geben dem Penner das Geld, das die Kellnerin sonst als Trinkgeld bekommen hätte. So. ;-)

Heut sind wir bissl träge, suchen immer wieder sonnige Plätze zum Verweilen, denn der Wind pfeift frisch um die Ecken. Das Kind arbeitet immer mal am Laptop und ich beobachte die Passanten. Sind denn nun die Frauen hier so attraktiv, wie man immer sagt? Auffällig ist jedenfalls: Sie sind alle zurecht gemacht. Haben einen gewissen Stolz im Gang. Bei näherer Betrachtung würde ich jedoch sagen: naja, aufgebrezelt halt. Blondierte, lange, wehende Haare, teure Klamotten. Viele ein bissl Tussi. (Sorry.) Das wirkt auf Männer natürlich erstmal. Mehr sehen sie meist gar nicht, ge? ;-)

Ich schon. Ich sehe die viele Schminke und das 2stündige Prozedere im Bad, sehe Zickenalarm und Oberflächlichkeit und eine aufgehaltene Hand vor dem nächsten Shoppingevent. Noch mal sorry, aber: Das gehört mit zum Klischee. Osteuropäische Damen sind sehr attraktiv und kostenintensiv in der Haltung.

Andererseits: Wer sagt denn, dass die Damen hier alle aus Litauen kommen? Vielleicht sind das alles Touristen aus...England, Deutschland...was weiß ich? Und ER? Auf die Männer hab ich bisher noch gar nicht geachtet. Sie verblassen einfach neben den Schönheiten. Aber: Sie fahren dicke, röhrende Autos.

Irgendwann ist mir einfach kalt. Nach Sonnenuntergang so richtig. Und ich hab keine warme Jacke dabei. Jedenfalls keine, die über den Hintern geht und meine Nieren wärmt. Aber das habe ich ja schon zur Genüge beweint.

Da dies unser letzter Abend ist gehen wir noch einmal litauisch essen. Weil die Auswahl cooler Locations riesig ist, sind wir wählerisch. In einer Seitengasse gucken wir in ein Restaurant, wo zwar der Innenhof verlockend aussieht, aber keinen einzigen freien Platz mehr bietet. Das Innere des Restaurants wirkt nicht überzeugend und wir wollen gerade abdrehen, als uns eine sympathische Angestellte zu sich winkt und auf einen schmalen Eingang zum Gewölbekeller weist. Wow. Wir ziehen die Köpfe ein und steigen eine gewendelte, schmale Stiege hinab. Jetzt sind wir im Keller vom Keller, vermute ich. IST DAS COOL!

Wir werden in einer kleinen Nische auf urigen Bänken platziert. Genial. Die Kellnerin ist eine unaufgeregte Frau, fast mütterlich. Wir fühlen uns wohl. Joseph bleibt seinem Vorsatz, heute vegetarisch zu speisen, treu. Ich frage vorsichtig, ob Hühnchen vegetarisch ist. Er versichert: Nein, nein, Huhn ist kein Fleisch. Darum ordere ich mir Chickenlegs mit Buchweizen. Schmeckt gut, aber irgendwie soo...gesund, soo...Öko. Joseph guckt mich fragend an, probiert dann und nickt. Jaaa, ich verstehe, was du meinst.

Leider ist es auch im Keller eher kalt als kuschelig warm. Ich zuppel an meinem Pulli und sitze auf Josephs Jacke, weil mir der Hintern auf den Bänken fast anfriert. Der litauische Wodka, den wir traditionsgemäß zum Abschied kippen, wärmt zwar die Speiseröhre und kurz auch den Magen, aber mehr eben nicht.

Noch einmal gehen wir in die Strandbar. Letzter Abend und so. Die Kellnerin friert ebenso wie ich und bei meiner Frage nach den WC´s antwortet sie bibbernd: Tttttttoilet? Dann lacht sie: Sorry, it´s soooo cold! Ich bestelle mir heiße Schokolade mit Rum, was sie nicht kennt, aber eine tolle Idee findet. Damit und mit ein- zwei Kuscheldecken über den Beinen geht’s ne Weile.

Ich wünsch mir für daheim auch eine coole Bar, wo man sich trifft. Falls euch das auch so geht: Traut euch! Eröffnet eine Strandbar! Ich kenne genug Leute, die euer Unternehmen unterstützen würden. ;-) In unserer Umgebung bekommt man nach 21 Uhr ja kaum noch ein Bier!

Abreisetag.

Tasche packen, aufräumen, Kühlschrank leeren. Blase leeren. 2x, 3x, 11x. Alles klar. Eine Blasenentzündung. Hatte ich schon mal, deshalb ist die Diagnostik simpel. Ich freu mich wie Bolle. Hab ich mir doch wohl gestern was weggeholt. Unschön. Sehr, sehr unschön. Das einzige, was hilft, ist TRINKEN. Nicht eins meiner Hobbies. Ich habe selten Durst und muss mir grundsätzlich jedes Glas Wasser unter großer Überwindung in den Hals gießen.

Wir müssen unser Appartement erst gegen Mittag verlassen und beschließen, frühstücken zu gehen. Das Café unserer Wahl haben wir schon mehrmals umkreist in den letzten Tagen. Irgendwie kitschig, irgendwie süß. Wir suchen ein sonniges Plätzchen. Ordern Kaffee. Ich kann hier nichts essen, Jöwes. heul ich fast, denn bis der Kellner den Kaffee bringt war ich schon 3x in der oberen Etage auf dem Klo. Ich atme flach. Fühle mich einfach...Kacke. Dabei gäbe es hier so viel zu beobachten! Ich kann es nicht genießen. Schade.

Und so bezahlen wir und bummeln zurück zum Appartement. Eigentlich würde ich mich dort gern noch ein Stündchen aufs Sofa hauen, aber der Vermieter ist schon wild am putzen. Er bestellt uns ein Taxi und wir fahren zum Flughafen. Der Taxifahrer spricht nicht viel, ist aber äußerst zuvorkommend. Und wir bezahlen: 5,17€!!! Wir gucken uns ungläubig an. Da hat uns doch dieser Idiot auf der Herfahrt so richtig übers Ohr gehauen! Boahhh!

Egal. Da wir nun echt früh am Flughafen sind, suchen wir uns einen Platz in der Caféteria. Besser geht’s nicht. Bequeme Polster, Glasfront, Blick aufs Geschehen und die große Anzeigetafel, Toiletten mit 10 Schritten zu erreichen, heißer Kaffee, und endlich Frühstück. Völlig überteuert, aber was solls. Ich trinke, renne aufs Klo, trinke, renne aufs Klo, trinke... Schnipsen und daheim auf dem Sofa liegen. Das wärs.

Trotzdem vergeht die Zeit relativ schnell. Man hat ja irgendwie immer zu tun. Anstellen, Gepäck aufgeben, Sicherheitskontrolle...Boarding. Bis alle im Flieger ihren Platz eingenommen haben dauert es gefühlte Stunden. Zum ersten Mal erlebe ich, das die Stewardessen das Handgepäck prüfen. Es gibt ja immer ein paar clevere Menschen, die über das erlaubte Handgepäck hinaus auch noch nen großen Rucksack und noch ne Tasche...Sie werden dieses Mal aussortiert und ich grinse innerlich.

Im Flieger haben alle, die es eilig hatten, ihr Gepäck bereits über den Köpfen verstaut und es sich gemütlich gemacht. Natürlich schiebt man sein Köfferchen quer in die Ablage. So kann jeder nachfolgende Passagier Tetris spielen bis die Stewardess herbeieilt, um doch noch mal alles rauszuzerren und effektiver einzustapeln. Die Schlange hinter uns reicht noch immer bis zum Flughafen- Bus.

Ein Basecap fällt aus der Ablage und ein alter Herr springt aus seinem Sitz. Fassungslos starrt er auf das zerknautschte Cap. Er sucht einen Schuldigen. Er tut mir ein bissl leid. Vielleicht war das ein Mitbringsel für den Enkel. Aber ehrlich? Das ist doch keine Hutablage! Und niemand hat mit dem Sitz auch noch die komplette Ablage für sich gebucht! Da kann sowas passieren.

Der Stau wird immer größer. Ein Steward am anderen Ende des Ganges bedeutet mir angenervt, ich solle kommen. Sehr witzig. Soll ich jetzt über 5 Leute klettern, oder wie? Endlich an unserer Sitzreihe angekommen tippe ich der jungen Frau auf die Schultern, die es sich bereits bequem gemacht hat und ihr hab und Gut über alle 3 Sitze ausgebreitet hat. Füße hoch, Buch aufgeschlagen...Nee, da kann man auch nicht mit rechnen, dass da noch wer kommt und sitzen will. Hallooo? Es stehen noch immer 30 Leute draußen!

Widerwillig räumt sie ihr Zeug zusammen. Bis alle wirklich sitzen, keiner zum 5ten mal aufsteht, um noch was aus der Ablage zu holen, Pullover an, oder doch wieder aus... Also Stewardess wäre für mich noch schlimmer als Kindergärtnerin.

Ich beneide erneut Jöwes, der sich seine Kopfhörer aufsetzt, sich kurz über den Platzmangel für seine Beine beschwert und dann für knappe eineinhalb Stunden in eine Art Wachkoma fällt. Er passt tatsächlich mit seinen 1,93m gerade so auf den Sitz. Bewegen ist nicht. Und ich wage zu bezweifeln, dass er im Notfall den Kopf zwischen die Knie nehmen kann, wie auf dem PlasteNotfallkärtchen demonstriert wird.

Ich will nicht mehr mit diesen Billigfliegern fliegen! Und Ryan- Air ist noch blöder als die anderen! Noch enger. Und diese schrecklichen gelben Plastekopfstützen! Da spart man echt an der falschen Stelle. Sag ich immer. Und beim nächsten Mal buch ich doch wieder das Günstigste. Das ist wie mit dem Kinderkriegen. Man vergisst die Strapazen.

Und weil das so ist blieb am Ende hängen: Eine großartige Reise. Mit dem Menschen, mit dem es mir am meisten Spaß macht. Ehrlich! Vilnius ist zu empfehlen. Absolut. Und solltet ihr das Gefühl haben, ich hätte 4 Tage nur unter Strom gestanden und mich permanent aufgeregt: Nein. Aber ehrlich? Hättet ihr sonst diesen Reisebericht gelesen? Na also. ;-) Und darum: Nächstes Jahr: Istanbul.
Termin steht.