Seit Wochen, ach, Monaten wollen sich Andreas Heine und ich treffen. Er hatte keine Zeit. Eine seiner Mitarbeiterinnen hatte eine Verletzung und ist seit Ostern, also pünktlich zum Beginn der Saison ausgefallen. Seitdem stand er Kopf. Nun aber trägt er selber einen Gips und hat Zeit. Welch Ironie des Schicksals.
Ganz spontan verabreden wir uns auf seinem schönen, herrlich grünen Innenhof und setzen uns in die Sonne. Vermutlich einer der letzten Sommertage dieses Jahres. Ich hole mir selber einen Kaffee, denn an Krücken kommt er schlecht die Treppen hoch.
So hab ich wenigstens Gelegenheit, meinen Hof auch mal zu genießen und muss nicht die ganze Zeit von A nach B hetzen, sagt er seufzend und leicht ironisch. Und ich teste gleich mal die Behindertenfreundlichkeit meines Anwesens, fügt er lachend hinzu.
Was ist passiert? will ich wissen. Wadenbeinbruch. Hab mich vertreten, als ich mal schnell für einen Gast ein Bügelbrett besorgt hab. Hmmm. Blöd. Und dann redet er los. Ohne Punkt und Komma. Ich muss ihn zwischendurch immer wieder bremsen. So schnell kann ich nicht schreiben. Er gibt sich dann 2 Sätze lang Mühe, langsamer zu reden und sprudelt dann gleich wieder drauf los. Oh. Mein. Gott. Unterbrochen werden wir immer wieder durch sein Telefon. Übernachtungsanfragen, der Techniker…Wir haben nen neuen Telefonanbieter, sind Tage nicht erreichbar gewesen! rollt er mit den Augen. Als hätte man nicht auch andere Sorgen, ge?
Der Sommer lief gut. Es ist eine kleine Flamme der Hoffnung zu erkennen. Die Gäste kommen inzwischen nicht nur auf der Durchreise oder für eine Stippvisite, sondern machen wirklich Urlaub in der Region. Dafür haben wir Jahre gekämpft! Da tut sich was. Irgendwie fehlt noch ne Schlechtwettervariante für Kinder, sinniert er. Eine Spielscheune mit Strohballen zum Toben oder sowas. Da gebe ich ihm recht. Sogar ich bin früher ab und an bis Brandenburg geeiert, weil die Jungs zu diesem Indoorspielplatz wollten. Das wäre doch mal ne Geschäftsidee. Na? Jemand Interesse?
Es flammt ja immer wieder mal das Thema Schwimmhalle in der Kyritzer Politik auf. Das wäre genial und sollte doch irgendwie auch machbar sein? Es gibt so viele Vereine, die davon profitieren würden! Und die Schulkinder, die für die Schwimmstufe nach Wittenberge fahren! Und das Klinikum würde das doch auch nutzen! Nun ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Im Landhotel stehen den Gästen 19 Zimmer zur Verfügung, seit 2016 vermietet A.Heine auch die wunderschönen, winzigen Kleinsthäuser.
Ich fang auch genau mit denen an, denn ich bin begeistert von diesen Miniminiwinzighäuschen.(Ich durfte Fotos für die Website machen.) Chronologisch erzählt ist das jetzt nicht, aber was soll´s.
Andreas! Erzähl!
Die Kleinsthäuser sind dieses Jahr so richtig durch die Decke gegangen. Kommen richtig gut an! Am liebsten vermiete ich über Airbnb, da ist der Kontakt irgendwie unkomplizierter, persönlicher. Es gibt keine starren Regeln. Ich freu mich selber so sehr über diese Häuser, dass ich jedes Mal beim Aufschließen strahle und den Gästen begeistert davon erzähle.
Diese Häuser waren bis vor ein paar Jahren vermutlich die schlimmste, oder traurigste Ecke von Kyritz. Ein Schandfleck. Die Eigentumsverhältnisse waren ungeklärt. Zu DDR- Zeiten sollten schon 3 davon weggerissen werden. Aber irgendwie wurde das dann doch immer wieder verhindert. Nach der Wende ging das weiter. Es dauerte 10-15 Jahre, bis die Stadt die Häuser dann in Besitz hatte. Die Sanierung wurde zu 100% gefördert. Idee der Stadt war, sie als Boardinghäuser auszubauen. Also zur Kurzvermietung für Azubis, oder Ärzte oder so.
Andreas war irgendwann vorher einmal im Urlaub in Quedlinburg in einem Haus aus dem 16.Jhdt. und total begeistert von seiner Unterkunft. Im Gespräch mit den Besitzern über die Sanierung, den Umbau, der architektonischen Meisterleistung saugte er jede Info auf. Da hatte jede knarrende Stufe eine Geschichte zu erzählen, verstehste? Ja ich verstehe. Seine Begeisterung ist förmlich greifbar.
Seine Euphorie nahm er mit heim, und als später die Stadt Überlegungen für die Nutzung der Kleinsthäuser anstellte, erinnerte er sich an die ähnlichen Voraussetzungen. Er regte bei der Stadt die Idee an, die Häuser an der Stadtmauer touristisch zu nutzen. Auch, weil das Klosterviertel umgestaltet werden sollte und die Häuser direkt angrenzen. Das wäre eine runde Sache.
Die Stadt ging auf seine Anregung ein und veröffentlichte eine Ausschreibung, zu der man ein Konzept einreichen und sich als Pächter/ Betreiber bewerben konnte. Das war im Jahr 2015. Nach 6-8 Wochen bekam Andreas den Zuschlag. Und das hatte nichts damit zu tun, dass ICH das angeregt hab oder was weiß ich! betont er. Ich hab das gar nicht in Frage gestellt! gebe ich irritiert zurück. Naja, aber viele Kyritzer denken das leider. Ach ja, das mit dem Neid ist immer so eine Sache, ge? Vermutlich hatte Heine einfach das überzeugendste Konzept, hat am meisten für die Sache gebrannt. Und der Erfolg gibt ihm Recht.
Jedenfalls war er glücklich über das O.K. Ich war „schockverliebt“, als ich die Häuser sah! Und: Ich hatte eh immer das Problem, dass ich im Sommer zu 150% Auslastung habe, im Winter aber nur 15. Zwischenzeitlich gab es die Überlegung, hinten im Garten Mini- Cubes zu installieren. So kleine Wohnwürfel. Oder aber einen Erweiterungsbau anzuschieben. Aber das habe ich wegen der hohen Kosten verworfen.
Die erste Vermietung dann bereits ein Jahr drauf, mit Fertigstellung der ersten drei Häuschen. Bis auf die Möbel und das Inventar war alles fix und fertig. Ich hatte schon Betten gekauft, die da gar nicht reinpassten, schüttelt er mit dem Kopf. Die Zusammenarbeit mit der Stadt lobt Andreas. Die Kooperation hat sich rentiert. Die Stadt wirbt ja auch für die Häuser, und ich für die Stadt.
Inzwischen mieten auch Architekten und „Bauhistorienliebhaber“ die Kyritzer Kleinsthäuser, um sich das mal anzusehen. Es gibt da tatsächlich sowas wie einen Tourismuszweig. Leute, die bewusst nach besonderen Unterkünften Ausschau halten. Und dazu kommt der Trend zu Tiny- Häusern. Die Gäste wollen sich mal reinfühlen und testen, wie es sich auf so kleinem Raum lebt. Auch der RBB drehte bereits vor Ort.
Die Häuschen an der Kyritzer Stadtmauer sind sowas von genial konzipiert, das ist der Wahnsinn, ehrlich! Jede Nische ist perfekt genutzt! Ich war echt sprachlos. Und dabei haben die 6 Häuschen irgendwas zwischen 28(das kleinste) und 34qm (das „Größte“). Mein Lieblingshaus ist die 105, weil da die Stadtmauer sichtbar geblieben ist. Aber das Konzept und die Farben, die Ideen sind in allen phantastisch! Seine Augen strahlen schon wieder. Und ich kann ihm einfach nur zustimmen.
Es ist schon eng. Aber eben perfekt.
Hinter den Häusern hat jede Einheit einen kleinen Austritt mit einer Bank. Es gibt nen gemeinschaftlichen Garten mit einem alten Walnussbaum und Grill und Sitzgelegenheiten. Bepflanzen darf er ihn leider nicht. Und auch keine Schaukel in den Baum hängen. Das sind Anordnungen…tja.
Was hat es denn nun aber mit diesen Kleinsthäusern auf sich? Du hast es mir schon mal erzählt, aber mach's noch mal, bitte. Er lacht. Aaaaalso, früher wurden einfache Budenhäuser an die Stadtmauer gebaut. Aus dem einfachen Grund, dass man eine Wand sparte, weil sie ja schon da war. Und die Stadtmauer war zumindest für Verteidigungszwecke nicht mehr nötig.
In Kyritz entstand die erste Bude 1740, die letzte bis 1810. Acht waren es damals, sechs blieben erhalten. So ein Ensemble von 6 aneinandergereihten Kleinsthäusern gibt es so wohl nicht mehr anderswo.(Ihr dürft uns gern belehren, falls das nicht stimmt.) Die Budenhäuser wurden damals größtenteils an Tagelöhner vermietet, die zu zehnt in so ner Hütte hausten. Der Tochter des Bürgermeisters gehörten 3 dieser Häuser.
So. Und jetzt mal Rolle rückwärts. Zurück zum Hotel. Oder noch weiter. Seinen sächsischen Dialekt kann er schlecht verbergen. Wie kamst du denn eigentlich nach Kyritz? Ausgerechnet Kyritz?
Na ganz klassisch wegen der Liebe! Hab meine Frau Andrea (Kyritzerin) im Internet kennengelernt. In einem Chatroom. Andrea und Andreas. Witzig. Nein, schön. ;-) Haben erst geschrieben, dann Nächte telefoniert und uns irgendwann zu einem Blinddate verabredet. Kann ich nur empfehlen. Er grinst verschmitzt. Damals arbeitete ich in Magdeburg, wir trafen uns in Berlin. Eigentlich bin ich aber aus Leipzig. Naja und dann hab ich hier nach Arbeit gesucht, bin ja gelernter Koch und Betriebswirt… Ich unterbreche, hänge noch ganz woanders. Im Internet? Anfang der 90er??? Echt? Krass!!! Ok., entschuldige. Weiter?! Er lacht. Naja, das Problem war, ich hatte schon lange nicht mehr als Koch gearbeitet, sondern mehr als Führungskraft.
Er erfuhr von dem Hotel.
Und was macht man, wenn man auf Arbeitssuche ist? Man kauft ein Hotel.
Jaaa, schön, wenn man später im Leben den Hut vor sich selber zieht, ge? Wir lachen. Ich war das erste mal hier an einem schmuddeligen Herbstabend, die Hälfte der Lampen war kaputt und es wirkte alles nicht besonders ermutigend, aber den Hof fand ich so schön. Und seine Phantasie und Energie reichten vermutlich aus, um das Ganze dann tatsächlich aus der Insolvenz heraus zu kaufen. Es gab keinen Insolvenzverwalter, das machte die Sache ein bissl schwierig. Aber davon erzähl ich jetzt hier nicht.
Familie Muth (später Landhaus Muth) kennen zumindest die Kyritzer mit Sicherheit noch. 1911 erbaut, 1917 erweitert, war es früher einer der größten Bauernhöfe der Stadt. 1945 wurde enteignet und gehörte zur LPG. Nach der Wende bekamen die Besitzer alles zurück - Das waren schon große Ländereien! Das reichte bis hinter Rüdow! -und bauten zum Landhaus mit Restaurant um. Das lief total gut, sagt Andreas anerkennend, das waren die ersten hier, die ein tolles, neues Hotel mit ner richtig guten Küche hatten!
Aber dann zog die Konkurrenz nach. Die Besitzer strauchelten, holten den Sohn vom Studium aus England zurück. Übergaben ihm alles und verschwanden. Der 22 jährige nahm einen neuen Kredit auf und war (verständlicherweise) völlig überfordert. So zumindest den Erzählungen nach.
Naja, Andreas startete unter widrigen Bedingungen und viel Mut. Eröffnete das Hotel mit einem Restaurant, Biergarten, Konferenzraum. Organisierte Veranstaltungen (Whiskytasting, Parkfest pipapo) und sagt, die liefen gut. Glücklich geworden ist er jedoch nicht mit der Gastronomie, erzählt er und gibt zu, dass sein Herz noch immer leicht blutet. Trotzdem war die Entscheidung richtig, das einzustampfen.
Seit 2012 also „nur noch“ Garni- Hotel. (Frühstückshotel). Allein, wenn ich an das leidige Thema Personal denke! Er winkt ab. Nee, nee. Ich hab ja so schon zu tun! Ich hab jetzt einen festen Stamm von 3 Mitarbeitern. Aber da braucht nur einer ausfallen, und dann stehste da! Wie gesagt, Ostern is ne richtig gute Kraft ausgefallen. Das reicht bis zum Umsatzverlust! Du müsstest ja theoretisch paar Zimmer abschließen, weil du nicht alle schaffst, zu reinigen!
Was hat das mit der Stillen Pforte auf sich? Das Schild über der Tür war mir noch gar nicht aufgefallen. Eine Verzweiflungstat, lacht Andreas. Da war früher immer ein Schild zum Restaurant. Das gab´s ja dann nicht mehr. Ich hab´s durch Stille Pforte ersetzt, weil Pforten noch immer geöffnet werden können. Sind nur für den Moment stillgelegt. Verstehste? Na klar. Und: Wer weiß, was kommt.
Dabei ist sein Restaurant wirklich schön und liebevoll eingerichtet. Mit ganz viel zum Gucken. So bäuerliches, handwerkliches Zeugs, rustikale Balken. Gemütlich auf dem alten Scheunenboden. Andreas erzählt, dass er erst letztens wieder von einem Paar aus den alten Bundesländern gefragt wurde, woher er das Zeug alles hat und wo er das Dekorieren gelernt hat, wo es doch in der DDR nichts gab. Er hat ihnen geantwortet, dass er dafür 2Jahre in den Westen gefahren ist, um "Dekoration" zu lernen. Also echt.
Und wenn wir schon kein Restaurant mehr haben, geben wir uns mit dem Frühstück richtig Mühe! Das ist nicht nur für Hotelgäste, sondern auch für alle anderen, wohlgemerkt! Selbstgemachte Leberwurst im Glas (auch zum Verkauf!), selbstgemachte Marmeladen und Honig von Bienen, die im parkähnlichen Garten…jetzt hätte ich beinahe „grasen“ gesagt. Das ist jedenfalls wunderbarer Lindenhonig aus den Bäumen vorm Haus.
An Ideen mangelt es ihm nicht. Er träumt von einem Schwimmteich im Garten. Z.B. Hast du denn meine neue Ladestation für Elektroautos gesehen? Sogar für Tesla! Ja hab ich. Als ich schon mit meiner alten Möhre dort eingeparkt hatte. Uuups. Ist so ne Leidenschaft von mir. Verleihe ja auch 10 E- Bikes. (Nicht nur an Hotelgäste.) Ich finde die Kombination zwischen altem Bauernhof und moderner Technik irgendwie spannend. Aha.
Bist du nicht auch in der AKG irgendwas wichtiges? Oder im Tourismusverein? Irgendwas hatte ich mal gelesen. Er lacht und winkt aber enttäuscht ab. Beides. Aber es ist einfach enttäuschend. Wenn keiner mitmacht, macht es irgendwann keinen Spaß mehr. Ich kann doch nicht immer nur maulen: Kommt doch eh keener. Oh, ich weiß, wovon er spricht. Hab ich selber erleben dürfen. Es gab so viele Ideen und Ansprachen in den letzten Jahren…alles verpufft. Es war demotivierend und energieraubend. Und irgendwann zieht man sich zurück.
Mein bestes Beispiel ist Marie von der Insl. Was die auf die Beine stellt! Was die ankurbelt für Kyritz! Leute herholt. Eine Powerfrau! Klasse. Und? Wie begegnen ihr viele Kyritzer?
Jaaaaa, das diskutier ich auch immer.
(Foto von 2015)
Ach Leute, seid doch nicht immer so negativ. Seid offen! Lasst euch begeistern! Aussagen wie: „Ich bin enttäuscht. Wir waren da früher immer mit unserem Westbesuch. Aber da auf der Insel ist das gar nicht mehr so.“ Tatsache? ja, das ist enttäuschend. Keine Bockwurst mehr aufm Mitropateller. Schlimm. Haaaallllooooooo!!!!!
Andreas, wir müssen jetzt den Bogen kriegen, sonst zieht das alle runter! Mich als erstes! Er lacht. Was solls. Wir müssen uns ein Netzwerk schaffen mit Leuten, die positiv denken und vorwärts schauen und Lust haben, was zu bewegen. Es geht immer weiter. Genau. Er klopft mit der Krücke an sein Bein und meint: Ich sitz jetzt immer abends hier draußen und denk, was ich doch für ein schönes Hotel hab. Und guck mal, gestern hat mir ein Gast was gepostet:
Wunderschönes, verwunschenes Gebäudeensemble. Genießen den Abend. Freuen uns aufs Frühstück.
Na wenn das kein positives Schlusswort ist, mein Lieber!!!
Wenn ihr auch mal schön frühstücken gehen wollt: Mo-Fr 7-9Uhr/ Sa-So 8-10Uhr
Ab 5 Personen bitte vorher kurz telefonisch Bescheid geben. Damit genug aufgedeckt ist. Na dann? Bon Appêtit !
Landhotel Heine/ Pritzwalker Straße 40 16866 Kyritz
fon: 033971-30407
Mail: info@landhotel-heine.de
(Die website muss der Joseph noch bissl aufhübschen, also seid nachsichtig. ;-)