Horst Wiese.
So. Genau so hab ich ihn vor meinem geistigen Auge, wenn sein Name fällt. Horst „Hotti“ Wiese.
Er sitzt auf einem alten Stuhl im Eingangsbereich der Werkstatt. Meist in Begleitung von wenigstens zwei älteren Herrn, die mit ihm fachsimpeln.
Vielleicht weil es hier vorn am alten Holzofen muckelig warm ist. Vielleicht, weil man hier am besten mitbekommt, wer kommt und geht. Ein bißchen aber auch, als würde er ein Portal zu einer längst vergessenen Zeit bewachen.
So ganz falsch ist der Vergleich nicht, denn im diffusen Licht erkennt man altehrwürdige Maschinen und eine Menge Kram. (Und wenn Sie ehrlich sind: Das Foto in sepia lässt einen schon zweifeln, ob das Foto jetzt oder vor 100 Jahren gemacht wurde, oder? ;-) .
Für alle, die ihn nicht kennen (Waaaas?) folgender Einstieg: Ich (mit ihm für ein "Interview" verabredet): Willst du dir für das Foto was anderes anziehen? Fragezeichen.Die Jacke ist ein bissl schmuddelig! Darauf er schulterzuckend: Jooooaaa, aber das ist das Hemd drunter auch.
Ich feixe. Ja, so ist er. Unkonventionell, trocken...speziell. Ich suche nach einer passenderen Beschreibung. Zauselig irgendwie. Waaas? er guckt verständnislos. Naja, versuche ich mein Bild zu erklären, der Rauschebart, der alte Wartburg,... das Arbeitshemd ist noch original aus den 80ern und die Hose letztens...? Ich könnt mich hinwerfen...war wohl mal ne Cordhose. Jetzt ist sie vom Knie bis oben gestopft. Respekt. Beidseitig.
Aber das Hemd ist noch tiptop! Und den Bart trag ich seit der Armee...Ja und der Wartburg bekam grad ne frische Lackierung. Den fahr ich seit 1970. Jaaa...naja die Hose....Noch mal stopf ich die jetzt aber nich mehr. Sag ich doch: zauselig.
Aber der Reihe nach. Horst Wiese ist – oder besser war- Wagenbaumeister. Bereits in der 3.Generation wohlgemerkt. Opa Franz gründete die Firma 1888. Baute komplette Kutschen und Wagen. Nicht nur die Nähe zum Gestüt sicherte volle Auftragsbücher, Pferd und Wagen waren halt DAS Fortbewegungsmittel. Auch als Emil Wiese in den 20er Jahren die Firma übernahm blühte das Geschäft. Vorn zur Straße gab es ein großes Schaufenster, in dem 4 selbstgebaute Wagen zum Verkauf standen! Wow.
Dass die Wagen komplett selbst gebaut wurden war nicht typisch. Schmiedearbeiten mussten üblicherweise in Auftrag gegeben werden. Aber Emil baute noch eine Schmiede an seine Werkstatt und übernahm die Arbeiten selbst. 5 Gesellen gingen dem Meister zur Hand und auf dem engen Hof muss es ziemlich turbulent zugegangen sein.
Natürlich gab es auch mal Not, erinnert sich Horst Wiese. Wenn mein Vater dann von ´ner Bauernhochzeit irgendwo hörte, setze er sich aufs Rad und fuhr los, um zu fragen, ob eine Kutsche benötigt wird. Wenn alle ordentlich durchgezogen haben war so eine Kutsche in 3 Wochen fertig.
Horst selbst konnte es kaum erwarten, bei seinem Vater in die Lehre zu gehen. Die 8.Klasse haben se mich ja noch mal machen lassen, lacht Horst W., aber mit der Berufsschule war ick nach nur zweieinhallb Jahren fertig. Das hat mir halt Spaß jemacht. Und diese Holzbiegearbeiten hab ich immer jeliebt.
Mit den Händen biegt er ein imaginäres Stück Holz. Seine Augen werden etwas wässrig. Ick würd jerne noch wat tun. Paar Reparaturen oder so. Vom Nüschd-Tun dreh ick durch.
Und dann darf ich mit ihm durch die heiligen Hallen schreiten. Seit 24 Jahren wünsch ich mir das. (Seitdem bringe ich nämlich meine Autos zu Sohn Ray in die Werkstatt. Der hatte kein Interesse am Wagenbau, ist aber der Sache doch irgendwo treu geblieben und hat als Karosseriebauer 95 die Firma übernommen. Fahrzeug ist schließlich Fahrzeug. ;-)
Was da von vorn so nostalgisch und chaotisch aussieht ist von Nahem: Nostalgisch und sortiert. 100e Schachteln, 1000e Leisten...Werkzeuge, Tüdelkram. Ich kann nichts wegschmeißen, gibt Horst zu. Aber! Erst heil machen, dann wegstelln.
Aha. Unter zugestaubter Plane stehen 2 Kutschen. Auftragsarbeiten. Nie abgeholt worden! Und das seit gut 10Jahren! zuckt Horst die Schultern und beschwert sich nur unmerklich über die Zahlungsmoral einiger Kunden.
Hier: Solche Wagen haben wir 100e gebaut. Vor dem Krieg, im Krieg, nachm Krieg. Die Leute haben ihr Hab und Gut damit transportiert. Er zeigt auf einen größeren Handwagen. Mit dem hier wollte mein Vater damals vor den Russen abhaun, rüber über die Havel...In unserem Haus hatten die ihre Wache eingerichtet, nebenan war die Kommandantur. Da war ein Tumult immer! Hoch die Tassen und auf dem Klavier rumgedroschen! Er blieb dann aber doch.
Ich könnte Hotti ewig so zuhörn. Alte Anekdoten und neue. Von mindestens 3 Männergruppen, in denen er zum Kern gehört, von Touren mit dem Freund. Mit seinen fast 80 Jahren hat er sich etwas bewahrt, was in seinen Augen als jugendlicher Schelm aufblitzt. So passt dann auch sein eingestreuter Reisebericht: Vor 5 Jahren haben mein Freund Arthur und ich ne Tour über die Pyrenäen gemacht. Im Auto. (Anmerkung: Mit 75!!!!) Einmal vom Atlantik bis rüber zum Mittelmeer. Aber im Jahr drauf in Schweden musste ich wegen meinem Zucker- zu viel Kirschen!- ins Krankenhaus, seitdem traut er sich wohl nicht mehr, mit mir loszufahrn. grinst Horst und Ray schüttelt im Hintergrund wortlos mit dem Kopf.
Ihr habt dieses Jahr Jubiläum! schießt es mir ein. 130stes! Hotti: Ja, aber wir feiern nur alle 50.
Staubtrocken, der Kerl. Da fällt mir nichts zu ein. ER wird den Tag wahrscheinlich eher erleben als ich, vermute ich stark und kann nun auch nur noch mit dem Kopf schütteln.
Herrlich.
Danke für das amüsante Gespräch, lieber Hotti.