Meine Schwester. Mit eindeutig nicht nur ´nem Farbknall

Achtung! Hier werden Sie fairmöbelt!

Immer irgendwie...im Wunderland.

Sister, ich muss dich doch auch mal vorstellen! flöte ich ins Telefon. Ich komm glatt nach Potsdam und wir machen ein „Interview“. Meine Schwester: Hast du grad Gänsefüßchen an das Interview gesetzt???!!!! Oh Gott, ja hab ich. Sie ist da allergisch. Denn ich hab lange gesagt: Meine Schwester ist „Künstlerin“. Dazu hab ich dann mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft gemalt. Warum? Keine Ahnung. Bis sie mir irgendwann dafür fast die Augen ausgekratzt hat. Zu Recht. Sie ist eine Künstlerin. Und sie möge mir verzeihen. Darum hier nun eine Liebeserklärung an meine Schwester und ein riesen Chapeau für das, was sie tut.

Das „Interview“ hätte ich natürlich nicht führen müssen. Ich kenn sie immerhin seit ein paar Jahren. Seit 44 genau genommen. Und seitdem bin ich ihre große Schwester. Aber ich wollte mit den Augen eines Fremden alles neu hören und auf mich wirken lassen.

So fuhr ich also vor ein paar Tagen in die Landeshauptstadt. Meine Schwester hat ihr Atelier seit 2012 im FreiLand. (Ihr altes fiel dem Bau eines SchickimickiEigentumswohnungsKlotz zum Opfer). Wem das nichts sagt: Das FreiLand wird unterstützt von der Stadt und den Stadtwerken und ist als „sozio- kultureller Standort“ wohl eine der letzten Oasen für Alternative und Kunstschaffende in einer Stadt, die immer mehr versnobt und „besiedelt wird von spießigen Leuten mit Kohle“. So meine Schwester und viele, nein eigtl. alle, die ich dort kenne. Für Leute aufm Dorf ist das gar nicht nachvollziehbar, wie heilig uns dieses Stück Land ist, sagt Steffi immer wieder. Und auch wenn mein Spießerherz beim Befahren des Geländes wieder schmunzelt fühlt man sich hier einfach wohl. Es herrscht immer irgendwie Trubel. So viele bunte, interessante, sympathische Menschen auf einem Haufen...einfach genial.

Auf dem Gelände haben nicht nur Künstler ihre Ateliers, hier treffen sich Vereine, Verbände. Hier probt der Kneipenchor genauso wie der Internationale Chor, es gibt einen Jugendclub, Probenräume für Bands, Sport- und Seminarräume, der Spartacus befindet sich hier, eine Siebdruckwerkstatt, Tischler und und und. Man kennt sich, braucht sich. Meine Schwester profitiert von diesem Netzwerk. Aber dazu später.

Steffi öffnet mir die große Tür, obwohl ich noch nicht geklopft hab. Schwesterliche Intuition. In der großen Gemeinschaftshalle hat sie sich mal wieder ausgebreitet, obwohl sie das eigentlich nicht soll. Aber sie braucht Platz. Und so liegen verteilt die Teile eines großen Büfetts zum Trocknen. Zwei Praktikanten streichen die Leisten in ... „Boah! Eine Vitrine in Schlüpferfarbe! DAS nenn ich mal ....mutig.“ Die Praktikantin guckt von ihrer Arbeit hoch und meint dann mimiklos: DU kannst nur Steffis Schwester sein. (Was immer das heißen mag ;-)

Theresa ist 32 und macht derzeit ein 2-wöchiges Praktikum bei Steffi. Eigentlich kommt sie aus der Gastro, aber das ging aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr und nun sucht sie seit ner Weile etwas, das ihren „Neigungen“ entspricht. Sie möchte gern was mit ihren Händen machen, kreativ sein und liebt den Werkstoff Holz. Steffi ist ehrlich zu ihren Praktikanten. Theresa ist extrem gewissenhaft mit ner Engelsgeduld. Und mit Blick zu Theresa: Aber du verlierst dich zu sehr. Mir klappt direkt die Kinnlade runter. Das sagt meine Schwester???

Ich seh sie wieder in dem kleinen Zahntechniklabor sitzen.(Sie ist gelernte Zahntechnikerin) Während sie das zweihundertfünfzigste Mal die selbe Handbewegung macht, die für mich keine sichtliche Veränderung herbeiführt wende ich mich ab und spreche weiter in Richtung Fenster, weil ich sonst einen Hammer nehmen würde, um das bescheuerte Gebiss zu zerdeppern. Wir sind uns ja in Vielem sehr ähnlich, müssen oft nicht reden, weil wir dasselbe denken, haben den selben Humor, sind beide kreativ, gesellig...aber Geduld? Ich mach gern Sachen, die schaffen, wo ich ein Ergebnis sehe. Meine Schwester setz ich mit der vertüdelten Weihnachtsbaumlichterkette hin. Sie wird sie auseinander frickeln. (Ich hätte eine neue gekauft. Nachdem ich die alte mit ner Schere...)

Jedenfalls, wenn meine Schwester sagt, Theresa würde sich- ich übersetz mal: festspielen, ja dann??? Wir überlegen, welcher Job passen könnte. Ich sag Goldschmied. Meine Schwester: Irgendwas mit Flohzirkus.

Die Praktikanten reißen sich um eine Stelle bei farbknall. Kobi zB. ist in der 9. Klasse und macht sein 2wöchiges Schülerpraktikum bei farbknall. Kennengelernt haben sie sich bei Projekttagen in der Schule, bei der die Kids unter Anleitung von Steffi ihren Klassenraum bzw. die Möbel neugestalteten. Das hat mir irgendwie Spaß gemacht...und da ich vielleicht mal Tischler werden will...er zuckt schüchtern die Schultern. Erzähl ruhig, was ich damals gesagt hab! wirft Steffi ein und lässt ihm dann keine Zeit für eine Reaktion. Ich hab gesagt: Kobi, DU darfst mich fragen nach ner Praktikumsstelle. Alle anderen: Wagt es jaaa nicht!!!! Waren wohl doch zu...anstrengend, die Pubertisten.

Und Theresa? Wie kamst du auf Steffi? Wir kannten uns nicht persönlich. Aber farbknall kannte ich natürlich schon. Potsdam ist letztendlich auch nur ein Dorf. Und Frau farbknall ist ne Institution. Die kennt jeder. Hört! Hört! Wir haben uns erst beim Praktikumscasting kennengelernt, meint meine Schwester und feixt über das schöne Wort. Aber ein bissl ist es wohl eine Art Casting. Es muss passen. Wenn ich beim ersten Treffen denke: Oha, das werden 2 zähe Wochen...sag ich ab. Ich nehm nicht jeden. Und wenn jemand sich als ungeeignet entpuppt, sag ich das auch. Ich kann doch nicht ne Top- Beurteilung schreiben, wenn derjenige nicht mal nen Pinsel halten kann!

Mit Praktikanten schaffe ich natürlich was. Dann arbeite ich ab. Und ich hab meistens tolle Leute, mit denen es richtig Spaß macht. Und trotzdem: Kreativ sein kann ich dann nicht. Erst wenn sie weg sind, arbeite ich nach und kann kreativ sein.

Letzte Frage an Kobi, bevor wir die Praktikanten ins Wochenende entlassen: Darfst du denn auch eigene Ideen einbringen? Er zuckt wieder die Schultern und meint: Naja, Ideen? Tipps vielleicht. Ja, Tipps. Meine Schwester streicht ihm mitleidig über den Arm: Das is süß, Kobi, dass du das denkst... Typisch meine Schwester.

Durch den Raum kommt eine Mutter mit ihrem Mädel. Ist hier Capoeira? Meine Schwester bierernst: Können wir gern machen, sieht bei mir aber anders aus. Sie schickt die beiden in Richtung Sportraum. Was ist Capoeira? Eine brasilianische Kampfkunst. Oder eher sowas wie Kampftanz. Ja nee, das sieht bei Steffi sicher nich so gut aus. Jaaaa, hier macht man nicht einfach Karate oder Judo, sondern Capoeira und Ninjutsu!
Aha. Meine Schwester zählt noch mal auf, was im FreiLand alles zusammentrifft und ist dankbar für das Netzwerk. Ulli (Atelier Eisenreich) z.B. hilft mir oft mit Stoffen, und die beiden Hausmeister sind Tischler und Zimmermann. Sie lacht: Gut, DIE machen oft nen großen Bogen um mich und rufen: Bitte keine Füße! Und fügt erklärend hinzu: Fast bei jedem alten Teil fehlen die Füße oder sind zumindest morsch. Und die Männer müssen mir dann immer neue Füße anbauen.

SO. Und jetzt erzählen wir den Leuten mal, was du eigentlich machst. Und dazu gehen wir in ihr eigentliches, 30qm großes Räumchen. Und da sitz ich. Könnt ihr mich sehen? Ein Wimmelsuchbild sozusagen.

Ist DAS der WAHNSINN????

Die Kulisse erinnert an einen Zirkus/Theaterfundus. An Antikhändler, Reliquiensammler, Altaranbeter. Ich greif mir einen bunten Stuhl, dessen Sitz das Gesicht von Madonna schmückt und entschuldige mich brav, bevor ich ihr meinen Hintern ins Antlitz drücke. Von meinem Platz aus könnte ich locker 4 Stunden mit den Augen alles versuchen zu greifen. Und hätte längst nicht alles erfasst. Aber hier zu arbeiten? Nein, das geht leider nicht, stöhnt meine Schwester. Deshalb muss ich ja immer in den großen Gemeinschaftsraum ausweichen! Auch auf dem Flur stapeln sich fertige Möbelstücke. Ich muss jeden Tag alles so weit es geht wieder zusammenräumen...das nervt und geht ins Kreuz. Das will ich glauben.

„Ich verwandele alte Möbel, Interieur und Alltagsgegenstände in bunte Unikate, zaubere Lieblingsstücke, Kunstobjekte und Hingucker, ohne deren Funktionalität einzuschränken.“

Steffi sieht sich als Möbelretterin. Sie bekommt ihre Schätze geschenkt oder für einen schmalen Taler. Viele Leute geben mir lieber ihre Möbel, als dass sie sie einem Händler verhökern. Weil sie es toll finden, wenn sie noch mal eine neue Bestimmung kriegen und sind gespannt, was aus ihnen entsteht. Diese Möbel arbeite ich auf, gestalte sie und dann werden sie verkauft.

Und dann gibt es die Auftragsarbeiten. Die Leute zeigen mir ihr Möbelstück Küchenbufett, Überseekoffer, Stühle, Truhe, Servierwagen ausm Flieger, Hocker,oder was auch immer sie gern aufgepeppt haben wollen. Meist erst mal nur mit einem Foto. Dann lass ich mir zeigen und erzählen, wie die Wohnung aussieht, wo das gute Stück mal stehen soll. Dann berate ich den Kunden. Was ist machbar? In welche Richtung soll es gehen? Ich zeige Farben, Stoffe, Beispiele Und auch wenn diejenigen Null Plan haben kristallisieren sich schnell Dinge raus wie: Auf keinen Fall PINK! Und so geht’s los.

Wenn es so gar keine Vorgaben gibt, weil die Auftraggeber sagen: Hmm, in dem Raum ist einfach noch nix, guck ich nach den Handtüchern, Zahnputzbechern usw. und greife die Farben auf. Und einige kommen und sagen, sie hätten so coole alte russische Zeitungen, Notenblätter, ein Filmplakat, ein Comic, die 10.000ste Ausgabe der taz...alles sowas... und hätten es irgendwie auf irgendwas drauf, drin, dran. Die Notenblätter zierten später eine hübsche Kommode. Die taz-ausgabe Stühle. Und hier zB. hat ein Ingenieur die Stühle für seinen Konferenzraum mit Bauplänen gestalten lassen. Wobei die Stühle wiederum von einem Bestatter in Neuruppin stammen. Herrlich, oder?

Mitunter sind die Aufträge... speziell. Einmal hat Steffi zusammen mit der Familie eine Urne für den Vater gestaltet. Er war Taxifahrer und so schmückte die Urne später: ein gelbes Taxi. (Ich möchte mal eine mit Mohnblumen, bitte!)

Manchmal schickt meine Schwester die Leute auch zum Restaurator. Wenn das Stück zu wertvoll ist, also eher eine Antiquität. Oder wenn die Aufarbeitung zu umfangreich wäre.

Meine Schwester macht von jedem Stück ein Vorher- Nachher- Foto. Manchmal zeigt sie mir begeistert ein Teil, dass sie gerade aufgetan hat. Dann guck ich sie an, als hätte sie gerade eben den Verstand verloren und drehe mich angewidert weg. Wo findet man so pottenhässliche Dinge??? Aber ich sage euch: IMMER, wirklich IMMER war ich hinterher begeistert vom Ergebnis. Gerade Möbel aus den 70er Jahren...Boah. So gar nicht meins!

Hier z.B. das Telefonsitzdings. Hässlich.

Hinterher (die neue Besitzerin hat aus lauter Begeisterung sogar die Wand neu gestrichen!):

Oder dieses Barschränkchen: Vorher Brechreiz:

Nachher:

Und der schlüpferfarbene Schrank in der Halle? Steffi zeigt mir das Papier, dass später eingeklebt wird und ich weiß: Der Schrank wird ein absoluter Hingucker!

(Das gute STück ist inzwischen sogar fast fertig: Tadaaa!:

Den meisten Teilen sieht man hinterher kaum an, wie viel Arbeit drin steckt. Dieser hier war ein Albtraum. Woooochen hab ich daran gesessen. Der war dreckig weiß.

Ich hab ihn so angeschliffen, dass die grüne Farbe darunter geblieben ist. Dann hab ich wieder so einen Grünton angemischt und die kaputten Stellen ausgebessert. Er bekam neue Scheiben, neue Füße, neue Leisten... Die wirkliche Arbeitszeit kann dir kein Mensch bezahlen. Und leider weiß man vorher auch nie genau, was einen da erwartet.

Aber: Tadaaaaa! : Hammer, oder? Für dieses Monster erbittet meine Schwester übrigens 1200€ Schmerzensgeld, wie sie es nennt.

(Ich muss mal fragen, ob man den auch mit dem passenden Pullover bekommt.)

Oder der hier: Hölle! Hölle!...dann wunderschön!

Auch im Angebot: workshops (in Schulen, Einrichtungen, Sommercamps) und Projekte. Steffi hatte bereits mehrere Integrationsprojekte mit Geflüchteten und schwärmt noch immer. Die Leute (im Staudenhof zB.) waren mit so viel Begeisterung dabei, ihren Gemeinschaftsraum zu gestalten! Vom Einjährigen bis zur Oma. Da wurde gehämmert, gemalt, genäht, gekocht. Die Bewohner nehmen sich diesen Raum soo in Acht!: Der sieht auch nach 3 Jahren noch immer genauso aus wie am Tag der Eröffnung! Auch in Schulen gab es schon workshops. Entweder wurde der Klassenraum erneuert oder jeder Schüler brachte ein Stück mit, dass er unter Anleitung gestaltet hat.

Und im letzten Sommer gab es ein Zirkus- Sommercamp. Meine Schwester war dort zuständig für die Außengestaltung, die Bühne, die Beschilderung. Die Fotos sind großartig und Steffi sagt: Da wollte man am liebsten selber noch mal Kind sein! Na da hat sie Glück, denn das Camp findet auch dieses Jahr wieder statt. ;-)

Fertige, zu verkaufende Teile kann man am besten bei Facebook ansehen. (Die website ist immer nicht so auf dem neuesten Stand, gesteht Steffi). Einige der Stücke glänzen im Schaufenster von Boutiquen und in Restaurants. Zur Deko...und zum Kaufen.

Vormerken für alle, die vor Ort mal stöbern wollen...(Das kann man natürlich nach Absprache jeden Tag), 5. Mai. Da ist Tag des offenen Ateliers. Dann öffnet das FreiLand seine Pforten und ihr könnt mal so richtig eintauchen. Und Steffi buckelt all ihre Schmuckstücke an die Luft und lässt sie strahlen. Macht dazu Bowle und Waffeln vermutlich.

So, und jetzt überlegt ihr sicher gerade, was ihr noch so rumstehen habt, richtig? Irgendwas von der Oma. Zu schade zum wegwerfen, aber so wie es ist, nicht vorzeigbar. Oder ihr habt noch Konzertkarten vom ersten Date. Ne Straßenkarte vom Motorradausflug, die ihr gerne für die Ewigkeit konservieren wollt. Was weiß ich. Auf geht’s! Lasst euch inspirieren!

Und noch was: ((Mein Gott, fast vergessen!) Meine Schwester träumt von einem Atelier aufm Land. Also eigtl. natürlich von einem Häuschen und Atelier und Obstbaumwiese. Aber wir wollen mal realistisch bleiben. Und so wünscht sie sich ein offenes Sommeratelier. 2 Monate schaffen und kreativ sein in einem alten Konsum, Feuerwehrhaus, Schmiede, Scheune, Gastwirtschaft, Bahnhof....mit offenen Türen für die Menschen ringsum. Und deren Möbel. Klingelt da was bei euch? Dann bitte melden. Das wäre phantastisch!

Kontakt: Steffi Ribbe Atelier Farbknall

Friedrich-Engels-Straße 22, 14473 Potsdam

Telefon: 0176 21928934

Mail: kontakt@farbknall.de

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Instagram: farbknall.de
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