Echt Schaaaf!

Schäfchen zählen, Schäferstündchen, sich in die Wolle kriegen, das schwarze Schaf sein oder lammfromm....Und kennt ihr das Unschaf?

Die Sonne geht nun jeden Tag etwas später auf, denke ich, als sich der pinke Ball hinter den Bäumen hervor schiebt. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand stehe ich auf der Rampe und verabschiede meinen Jüngsten zur Schule. Dann höre ich von irgendwo Schafe blöken, einen Schäfer seinen Hunden Kommandos geben. „Stocki! Wo bist du?!“ rufe ich ins Telefon und suche mit den Augen den Horizont ab. Ähm…Warum? fragt er irritiert zurück. Weil ich dich höre! Jetzt ist er noch irritierter. Echt? In bin in Goldbeck! Das sind gut 2km Luftlinie. Dann bin ich wohl zu laut!? Wir lachen. Bleib wo du bist! Ich würd gern paar Fotos machen, ist so schönes Licht. Ich komme! … (Also echt, wo soll er denn so schnell hin mit so einer Herde?)

Ich zieh eine Hose über den Schlafanzug, plemper meinen Kaffee in einen Thermobecher und rase los.

Da steht er. Weit hinten mit…hunderten Schafen. Auf seinen Schäferstock gestützt, wie Schäfer das eben so tun. Über der Herde eine Dunstwolke, die aber- wie ich erst später erkenne- nicht von den Tieren, sondern weiter weg aus der Wiese aufsteigt. Ich kletter über den Zaun und stapfe über das Stoppelfeld. Mit jedem Schritt wird das Blöken lauter. Zwei schwarze Hunde umkreisen die Herde.

Stephan Stockfisch freut sich über meinen spontanen Besuch. Na? Ausgeschlafen? Ja, so zerzaust kennt er mich wohl nicht. ;-) 6.20 klingelt mein Wecker. Aber ich gebe zu, ich hab noch den Schlafanzug drunter. Was machst du aber schon so früh hier? Er nickt in Richtung Sonne…Bei der Hitze fahr ich lieber früh raus. Ich trainier die Hunde bissl. Wie viel Schafe das wohl sind? Ich fange an, die Beine zu zählen, um später durch 4 zu dividieren…Er kürzt ab: 550 Mutterschafe, 750 Lämmer. Und 200 arbeiten gerade aufm Deich.

Wow. Und den Hunden bringst du das selber bei, die Herde in Schach zu halten? Er zuckt verständnislos mit den Schultern. Wer soll das denn sonst machen? Die kriegst du doch nicht fertig zu kaufen! Er lacht. Boah, wie soll das denn gehen? frage ich mich und beobachte die beiden Hunde, die zum hundertsten Mal in ihrer Linie auf und ab rennen. Einer oben von links nach rechts, der andere hoch- runter.

Stocki erklärt: Die Hunde müssten rein theoretisch nicht bewachen. Ist ja ein Zaun drum. Ich trainiere mit ihnen für Wettkämpfe. Wir spielen sozusagen die Praxis durch, wenn es keinen Zaun gäbe. Dazu ziehe ich an den Seiten eine Furche, oder fahre halt mit dem Auto ne Spur. Die Hunde wissen dann: Bis hier dürfen die Schafe. Die Linie verteidigen, bewachen sie dann im Grunde, in dem sie in eben dieser Furche hin und her laufen. Ne Stunde trainiert er das jeweils. Ist ja auch anstrengend. Also mehr so für die Hunde. ;-)

Heute fragen sich die Beiden wahrscheinlich schon, ob mit mir alles gut ist. fügt er an mit Blick auf die Uhr. Während wir nämlich so quatschen, „rotten“ sich die Schafe immer dichter vor der Furche Richtung Wald zusammen. Das sieht aus, als würde ein einsamer Polizist ne Horde Demonstranten in Schach halten, die - keine Ahnung- das Regierungsgebäude stürmen wollen. Ich höre sie förmlich rufen: WIR SIND DAS VOLK!

Seit Schweinchen Babe weiß ich um den Codex der Schafe und brülle auch gleich mal testhalber:

Mäh ihr Schafe! Mäh ihr Schafe! Bleibet treu eurer Rasse, eurem Glauben, auch im Schlafe! Mäh ihr Schafe!

Stocki guckt mich an, als hätte ich gerade eben den Verstand verloren. Die Schafe reagieren nicht auf meinen Geheimspruch. Ignorantes Volk. Pfft. Naja gut, sind Suffolkschafe, die verstehen vielleicht nur englisch.

So doof, wie man ihnen nachsagt jedenfalls, sind sie wohl gar nicht. Das wiederum weiß ich seit dem Buch Glennkill- Ein Schafskrimi. Das solltet ihr unbedingt lesen. Total spannend und extrem witzig. In dem Buch ermitteln die Schafe zum Tod ihres Schäfers. Dieses sich langsam näher fressen und dann möglichst teilnahmslos gucken und gelangweilt kauen ist nämlich eingeübt und beabsichtigt. Seit dem Krimi komm ich an keinem Schaf vorbei ohne ihm zuzuraunen: Brauchst gar nicht so zu tun, Miss Marple!

Stocki lässt noch mal einen kleinen Brüller los. Ich erschrecke mich. Mann, der hat aber auch n Organ! Guck mal, wie die Schafe jetzt drücken! Die spüren, dass der Hund langsam müde wird. Die sehen das frische Gras hinter der Furche. Jaa, das Gras sieht auf der anderen Seite immer grüner aus. So sagt man. Ich könnte lachen, aber der Hund tut mir fast leid. Jetzt beißt er in ein- zwei Schafsbeine und treibt die Meuterer zurück. Stocki brüllt. Kurzes Kommando, der Hund pariert. Du fährst nen Grad, erklärt er. Der Hund wird für diesen Job ausgesucht. Er muss „Biss“ haben, darf aber natürlich auch keinen Schaden anrichten. Wenn er dürfte, würde er schon mal so richtig durchdrehen. Biss, aber nicht beißen also?

Dann endlich erlöst er seine Hunde und pfeift sie zu sich. Erleichtert kommen sie angerannt und lassen sich zu seinen Füßen nieder. Vielleicht sind sie auch gar nicht erleichtert? Ist wohl eher meine Interpretation. Ich wärs jedenfalls. Stocki lobt die Beiden, die übrigens altdeutsche Hütehunde sind. Alex, mit 4 Jahren ein alter Hase und heutiger „Haupthund“ und Lady, eineinhalb Jahre alt und noch in der Ausbildung als Beihund. Cora und Lord haben heut „frei“.

Und du züchtest diese Hunde? erinnere ich mich an einen Haufen Welpen auf seinem Hof Ja, auch. Und Jagdhunde, die ich auch ausbilde. Deutsch- Kurzhaar. Da gingen schon einige bis nach Amerika, wie mir Stockis Sohn mal erzählte.

Und womit verdienst du aber jetzt dein Geld? hake ich mal nach, weil ichs mir schlecht vorstellen kann. Na nicht mit Wolle und Fleisch. Oh. Falsch gedacht. Also ja doch, die Lämmer gehen schon weg. Die ersten nach nem halben Jahr, also ab Dezember, die letzten bis zum Frühjahr, bis sie so um die 45kg haben. Davon lebt der Schäfer nicht. Schlachthöfe in der Region werden auch immer rarer. Das ist blöd. Ich will meine Tiere nicht stundenlang irgendwohin schicken!… Das ist schon gutes Fleisch und wird auch ganz gut bezahlt. Aber es macht nur ungefähr ein Viertel meines Einkommens aus.

Der Preis für Wolle z.B. war schon immer schlecht. In den letzten Jahren allerdings ist er sooo schlecht…Ich mein, wir reden hier von 30Cent fürs Kilo!!! Ich werd sie los, aber damit sind nicht mal die Schurkosten gedeckt. Vor 10 Jahren hat übrigens die letzte Wollkämmerei in Deutschland dicht gemacht. Seitdem geht die Wolle…tja, wohin auch immer. Und die Wolle ist auch nicht gut, bzw. fein genug für Klamotten. Vermutlich wird sie zu Teppichen verarbeitet oder zu Dämmstoff. Und wenn sie drauf bleibt, "dämmt" sie die Schafe im Winter. Verstehe. Der Schäfer lebt von der Landschaftspflege. Deiche, Heideflächen. Also Flächen, wo Mähwerk schlecht dran kommt und wo das Gras/ Kraut kurzgehalten werden muss? Aaaah, verstehe. Das heißt, 200 Schafe füttern die 1300 Mäuler hier durch? Stocki lacht laut. Nee, so kannste das nicht sehen. Die hier schaffen halt Nachwuchs ran.

Ich züchte die übrigens der Zucht wegen. Robust müssen sie sein. Sie kennen keinen Stall. Sind draußen bei minus 20Grad und 35 plus… Irgendwann will ich die dahin bringen, dass sie alle nur noch Zwillinge zur Welt bringen. Ich erinnere ihn an seine eigenen Kids. Das ist ja mies! Du weißt doch sicher noch, wie anstrengend es ist, Zwillinge zu versorgen? Und wenn DU nicht: deine Frau mit Sicherheit! Er lacht wieder. Oh Gott, ja.

Stocki ist Schäfer aus Leidenschaft, die er wohl von seinem Vater erbte. Das ist naheliegend, denn der war und ist Schäfer und lebt und bewirtschaftet einen Hof an der Grenze zu Meck- Pomm. Seine Schafe halten die Heidelandschaften sauber. Der Hof ist seit Generationen in Familienbesitz. Mich konntest du mit 4, 7, 17 Jahren fragen, was ich mal werden will. Die Antwort war immer: Schäfer. Dann kam die Wende und alles wurde so…unsicher. Stefan machte vorsichtshalber eine Ausbildung zum Bäcker und wurde letztendlich dann doch: Schäfer. Die Herden sind deutschlandweit geschrumpft, sagt er. ABER: Seitdem die Landwirtschaft umgestellt wurde und wir Unterstützung erhalten, wird es für unsere Branche wieder besser.

Mit Isegrim hatte er noch keinen Zusammenstoß. Aber er ist unterwegs, wurde schon gesichtet. Der Tag wird kommen. Der Aufwand für die Vorkehrungen, die man treffen sollte ist mir einfach zu hoch. Aber irgendwann…muss ich wohl.

Wir könnten noch stundenlang…so spannend das Thema! Wir reden noch über Landwirtschaft als solche, Klimaerwärmung und sonstewas…Aber das bremse ich aus. Ich wollte doch nur n schönes Foto machen mit Schafen und Sonnenaufgang!!!! Wenn wir ausführlicher werden wollen, müssen wir uns mal bei nem Glas an nen Tisch setzen, Stocki! Mein Gott, ich bin grad ausm Bett gefallen, mein Kaffee steht noch im Auto und ich bin total unterzuckert!

Ich versuche erneut, mich zu verabschieden. Und? Was machst du jetzt? frage ich bereits am gehen. Siesta! lacht Stefan. Naja, vorher ziehen wir noch Zäune. In ein paar Tagen gehts weiter. Eine Woche fressen die Schafe auf einer Fläche von ca. 25ha, dann ist sie kahl. Also müssen die nächsten Flächen eingezäunt werden. Aber dann …Siesta. Bei der Hitze muss man sich ja nicht quälen, oder? Natürlich nicht. Sag mir Bescheid, wenn ihr „umzieht“, bitte!

Seid ihr schon mal hinter so einer Herde mit dem Auto hergetuckert? Wenn man nicht grad nen Zahnarzttermin hat ist das total genial. Ich liebe das und freue mich immer, wenn ich irgendwo das Blöken und Stockis Rufe höre. Das hat sowas traditionelles, beruhigendes. Rücken an Rücken über die ganze Dorfstraße. getrampel, Blöken, eine Staubwolke. Das ist Dorf und erinnert mich an meine Kindheit. Damals saß ich hinter unserem Obstgarten stundenlang mit dem Schäfer auf einer Bank im Schatten und guckte einfach nur zu. Beim Grasen, oder wenn die Lämmer geboren wurden. Ich erinnere mich an das Quietschen seinen Wachsmantels, den er gefühlt Sommer wie Winter trug und der so eigenartig roch. Und an seinen langen Schäfer- Stock, auf den er sich stützte, oder mit dem er ab und an ein Schaf zu sich zog.

Auch Stocki hat so einen Stock. Den brauch man. lacht er und zeigt mir, wie man ihn sich richtig unter die Achseln klemmt und sein Gewicht verlagert. Der ist wie angewachsen.Den haben alle. Sonst könntest du nicht die ganze Zeit hier stehen. Mit der kleinen „Schippe“ wirft er z.B. etwas Sand in die Luft, um die Furche zu markieren, wenn ich das richtig verstanden habe. Und ja, mit dem Haken zieht er Schafe aus der Herde, wenn sie lahmen, schwächeln, die Geburt losgeht. Oder so.

Ich mach noch ein- zwei Fotos und Stocki schimpft, weil er gar nicht im „Schäferoutfit“ zu sehen ist. Das war heut so warm! Und ich wusste ja nicht, dass du kommst! Jaja…, ist ja gut. Ich wusste auch nicht, dass ich morgens um 7 schon aufm Acker stehen werde! Aber von mir gibts kein Foto. Und da könnt ihr alle froh drüber sein! Er gibt dann aber auch zu, dass er das richtige Outfit- bis auf den Hut- auch nur noch zum Leistungshüten trägt. Das ist einfach unpraktisch. Vor allem die Weste. 1000 Knöppe und dann bleibst du laufend damit irgendwo hängen…Nääää…Das geht gar nicht. Er verzieht herrlich das Gesicht.

(Ein Foto aus meinem Archiv. Hier wenigstens mit Hut. Aber gaaanz leicht angenervt, weil die herde sich nicht gerührt hat. In der Mitte der Dorfstraße standen die Mutterschafe wie angewurzelt, die Lämmer rannten in 4er- Reihen drum rum. Alle halbe Stunde bin ich raus, um zu fragen, ob er doch nen Kaffee will. Dauert ja wohl noch bissl. ;-D Eijeijei)

So. Jetzt aber. Bis dann Stocki und danke! Grüß deine Frau!

Stephan Stockfisch/ Schäfer/ Joachimshof