Die kleine Verbindungsstraße von Wildberg in Richtung Rohrlack macht ein paar kräftige Schlenker und ist so typisch für diese Gegend, dass ich am liebsten anhalten würde, um ein Foto zu schießen. Kopfweiden und blühende Obstbäume am Wegesrand würden jeden Hauptstädter verzaubern. Ja, von hier kommt euer gutes Brot! rufe ich innerlich. Obwohl die Dorfstraße des kleinen Örtchens Rohrlack im Temnitztal menschenleer ist, ahnt man, dass dies keins dieser verschlafenen Nester ist. Gepflegte Grundstücke, warme Klinkerbauten wirken einladend. Mehrere große Hinweisschilder verraten: Hier schläft keiner.
Über Kopfsteinpflaster fahre ich auf den Lindenhof und parke mein Auto. Schon beim Aussteigen steigt mir der Duft nach frischem Brot in die Nase. Hinter den großen gusseisernen Fenstern wirbeln 2 Bäcker gekonnt Teigstücke durch die Luft. Dabei schwatzen und lachen sie und ich könnte glatt einfach stehen bleiben und sie noch eine Weile beobachten. Wenn DAS die Hauptstädter sehen würden, würden sie ihr Brot NOCH mehr lieben.
Der Laden ist leer. Keine Verkäuferin zu sehen. Nur die Regale sind frisch bestückt. Ich schaue mich in aller Ruhe um. Wie in einem kleinen Supermarkt gibt es hier ...von allem etwas. Bio. Regional.
Irgendwann rufe ich dann doch mal in den hinteren Bereich. Haaaallllooooo...Ich hab mich schon einmal quer durchs Angebot gefressen! Und dann erscheint erschrocken die Verkäuferin und mit ihr der Chef. Volker Apitz lacht. Und wundert sich Wir haben eigentlich ne Klingel, die automatisch bimmelt, wenn jemand den Laden betritt. Ich zucke die Schultern. Tja, ich bin soo elfenhaft, dass der Alarm nicht ausgelöst hat. Er widerspricht nicht, der Gute.
Wir freuen uns beide auf unseren Plausch und umarmen uns kurz. Immerhin sind wir jetzt offiziell verabredet und haben 2 Stunden im Terminplan „blockiert“. Wir überlegen, wann wir uns kennengelernt haben, kommen aber nicht drauf. Ich müsste nachsehen. Auf jeden Fall war das noch zu Zeiten des kULTich- Magazins. Schon damals habe ich ihn und seine Bäckerei vorgestellt. Ich würd schon sagen, dass wir seitdem befreundet sind, auch wenn die Zeit meist nicht für einen Kaffee, aber immer für ein kurzes, schönes Gespräch reicht. So. Und jetzt kram ich doch mal in den Untiefen und guck, wann ich damals den Artikel geschrieben hab.
- Wahnsinn. Vor 10!!!! Jahren! Volker? Mit welchem Kind kam deine Frau da über den Hof geschlendert? Uiiii...und ich fahre noch den alten T4, den meine farbknall- Schwester damals so schön bemalt hatte...Schnief.. Seitdem ist eine Menge passiert. Aber wirklich!
Aber von vorn. Volker Apitz kam 28jährig aus der Nähe von Prenzlau nach Rohrlack, um im Ort eine Bäckerei mit aufzubauen, in der Behinderte aus dem ansässigen Heim arbeiten sollten. (Was ist denn jetzt das politisch korrekte Wort für Behinderte? Beeinträchtigte. Ok.) Zu der Zeit gab es schon die Gärtnerei, den Sternhof, in der Beeinträchtigte tätig waren und sind. Hier werden noch immer sehr erfolgreich getrocknete Tees und Kräuter hergestellt. (Mit dem Demeter- Prüfsiegel, wohlgemerkt!) Und auch eine Holzwerkstatt gibt es hier, in der Gebrauchsmöbel und Marktstände (z.B.) gebaut werden.
Volker arbeitete sich im Betreuungsbereich ein, wollte die Abläufe kennenlernen, hineinwachsen in das neue Feld. Aber mit der Zeit wurde ihm immer mehr bewusst: Ich will eigentlich keine therapeutische Arbeit leisten. Und erklärt: Es ging dann doch mehr um Betreuung, als um Fertigung. Das hatte mit meinem Beruf nicht wirklich etwas zu tun. Ich wollte lieber selbständiger Bäcker sein. Bio- Bäcker. Die Entscheidung für Rohrlack war getroffen, kurz bevor er Ulrike kennenlernte. Das war knapp, sagt er und lacht, sonst hätte es mich in Richtung Küste verschlagen. So kommt Ulrike also mit nach Rohrlack.
Die Entscheidung für die Selbständigkeit nimmt ihm niemand übel. Im Gegenteil. Feddersen, der Besitzer des Stern- und Lindenhofes unterstützt Volker. Seine Vision von einer sozial starken Gemeinschaft geht auf. Er bietet ihm, wenn er bleibt, einen 10Jahres- Mietvertrag für den Speicher an. Und Volker sagt zu. Er macht seinen Meister, richtet die Bäckerei ein. Fängt einfach an. Völlig naiv, wie er heute zugibt. Und obwohl schon das erste Kind unterwegs ist, ist Ulrike an seiner Seite. Hilft ihm bei der Dekoration eines Schaufensters, (was Teil der Meisterprüfung war), im Laden und in der Backstube und überhaupt beim Aufbau...erst mit nem dicken Bauch und später mit dem Kind im Wagen, erzählt er anerkennend im Nachhinein. Meine liebe Ulrike, ich glaub das ist grad ein öffentliches Dankeschön.
Als er von der Schaufensterdeko spricht muss ich spontan laut lachen. Das scheint ein wenig beliebter Part der Ausbildung zu sein. Ich müsste wirklich stark nachdenken, ob ich ein Bäckerschaufenster kenne, das wirklich geschmackvoll wirkt. Selbst in Österreich hab ich mich über die vergilbte Plastetorte aus den 50ern amüsiert, die da einsam hinter Glas ihr Dasein fristete. Seit 60 Jahren und nur in Gesellschaft eines ebenso vergilbten Plaste-Efeuzweiges. Entschuldigung. Ich schweife ab.
Volkers naive Vorstellung sah so aus: An einem Tag Brot backen - am nächsten Tag Brötchen und Kuchen dazu und alles ausliefern an die Berliner Naturkostläden. Er arbeitete nach Bestellung, um das Ganze wirtschaftlich zu halten. Montag bis Samstag. Allein. Das ging auf Dauer natürlich nicht. Noch im selben Jahr stellte er einen Fahrer ein und holt sich Hilfe für die Backstube.
Ein bewegtes Jahr 2000. Wow. Ich hatte keinen Plan B. Aber Plan A ging ja auf. sagt er und lacht. 19 Jahre später und 4 Kinder mehr (;-) hat er den Speicher erworben, vergrößert, umgebaut, ein Café eröffnet, den Laden neu gebaut... und beschäftigt 24 Leute. Selber Brote gebacken hat er seit 10 Jahren nicht mehr, sagt er. Klar, als Chef muss man die Maschinerie am Laufen halten, und das meist vom Schreibtisch aus. Vermisst du das manchmal? frag ich und kann mir schon vorstellen, wie die Antwort lautet. Ja, inzwischen schon. Einfach arbeiten und das tun, was mir gesagt wird, ohne den ganzen Stress drum rum zu haben....
Ich weiß, dass viele unter uns immer wieder stöhnen, Bio sei so teuer. Diese allgemeine Haltung gebe ich einfach mal an Volker weiter und hab da natürlich den richtigen Nerv getroffen. Bio- Bäcker ist man aus Überzeugung. Volker, der sich selber inzwischen sogar zu 80% vegan ernährt, holt tief Luft. Die Frage ist doch eher, warum alles andere so billig ist! Ganz ehrlich? Die Landwirtschaft ist das schlimmste Übel. Alle wollen billig produzieren, viel verkaufen und unsere Gier, unseren Geiz bedienen. Stimmt. Viel für wenig Geld. Wenn wir verhindern wollen, dass alles kaputt geht am Wegesrand, und der Boden, Insekten, Ressourcen ...muss man das anders gestalten. Aufwendiger, nachhaltiger. Damit wird es "teurer", oder besser: angemessener. Bio ist eine zeitlang etwas in Misskredit geraten, inzwischen hat sich das gegeben. Das Bewusstsein der Menschen ändert sich. Das spürt man. Aber ganz ehrlich? Auch industrieelles Bio macht die Erde kaputt. Monokulturen, Bienensterben, Schweinezucht... Ich kürze an der Stelle ab mit den Worten: Und auch Bio- Kühe furzen Methan.
Dann bekomme ich eine Führung. Ich erkenne nichts mehr wieder und kann kaum noch zuordnen, wo früher mal Laden und Lager und Backstube waren. An den Dachboden jedoch kann ich mich erinnern. Da gabs zum Hoffest mal ein Puppentheater. Heute stehen hier riesige Säcke Getreide. Dinkel, Weizen, Roggen. Das bekommen wir aus Kuhhorst. Gemahlen wird es erst hier. Das erklärt auch, warum es eher nach Mühle riecht als nach Backstube. Volker sag mal, mir ist vorhin aufgefallen: Es riecht zwar in der Backstube nach frischem Brot und so, aber irgendwie nicht so typisch wie beim Bäcker, wie ich das von früher kenne. Es riecht eher so ...gesund. Er nickt. Was du bei denen riechst sind die Aromen, die meist schon in den Zutaten enthalten sind. Und wir verwenden keine. Ah, ok.
Volker führt mich durch die Räume. Ich könnte stundenlang zusehen, wie die Jungs die Teigmasse mit den Handballen drehen und schwupp in die Körbe befördern. Ein eingespieltes Team, gekonnte Handbewegungen. Der Chef ist nicht ganz so zufrieden und kritisiert erstmal. Hier ist zu wenig Schokolade an den Nussecken...und die Reisbrote müssten einen Tick heller sein. Aha. Für mich sieht alles perfekt aus...Aber was weiß denn ich schon. ;-)
Die fertigen Brote sehen in ihren Kisten aus wie gemalen. Ich mache noch schnell ein Foto, dann verschwinden sie im Transporter, den einer der Fahrer gerade bestückt. Damit fährt er auch in die Bio/Hofläden der Region. Rathenow, Neuruppin (BioKonsum, Grünkern und Edeka Brehme), Rheinsberg, Stendal, RODDAHN, KYRITZ...)
Glutenfreie Produkte werden übrigens (natürlich!) in einer extra- Backstube hergestellt. Extra Getreidemühle, extra Knetmaschine, extra Backformen.
Gearbeitet wird inzwischen in 2 Schichten. Die erste beginnt um 16.30 Uhr und endet gegen 1 Uhr nachts. Da wird gebacken, was das Zeug hält. Nachts um 2 starten die Fahrer mit der heißen Ware in Richtung Hauptstadt und Potsdam. Um 3 Uhr beginnt die nächste Schicht. Dann werden die glutenfreien Produkte hergestellt und das Essener. Habt ihr schon mal Essener gegessen? Ich liiiiiebe dieses Brot!!! Es besteht nur aus gekeimten Sprossen. Plus einer Saatmischung. Hanf, Sesam, Lein, Sonnenblumenkerne. 50 Stunden gekeimt, zerkleinert, gebacken. So wie es das Volk der Essener vor 2000 Jahren schon tat. Oder zumindest so ungefähr. Ich esse es mit kühler Butter und Salz, das passt gut zu dem süßen Eigengeschmack.(Finde ich zumindest.)
Und jetzt fragt ihr euch vermutlich, wahrscheinlich, hoffentlich?!: Wie komme ich denn nun an so ein Ur- Essener, oder an ein glutenfreies Reisbrot, oder ein Spinatbrot, Kuchen, Brötchen...wenn ich NICHT bis Neuruppin oder Kyritz oder Roddahn reisen will? Ganz simpel: Ihr bestellt es. Vielleicht habt ihr schon mal vom Landkorb gehört? Auch da kann man Volkers Brot bestellen.
Aber noch besser: Auch auf der Vollkern- Website kann man alles ordern und dann problemlos einfrieren. Ich hab das einfach mal probiert! Das Brot kam tatsächlich schon am nächsten Tag an. Und Versandkosten? Ja, aber ganz ehrlich? Mein Auto fährt nicht mit Wasser. Und ich hab mir gleich ein paar mehr Brote geordert und eingefroren. Ich Fuchs! Tolle Sache! Und wer mal so vorbeikommt: Das Café hat wie der Laden geöffnet. Da gibt es derzeit auch einen wunderbaren Rhabarberkuchen. Und eine temperamentvolle Italienerin faucht einen herrlichen Kaffee in eure Tassen.
Und merkt euch doch mal das Hoffest vor!
Samstag, 15.Juni 2019. 11-18Uhr.
Sternhof, Lindenhof, Rosenberger Hof, Kräutergarten Lavendelblüte, Atelier, Gaststätte, Gestüt. Das Highlight des Jahres im kleinen Rohrlack. Aber so klein das Dorf, so kreativ und umfangreich das Programm.
Ein kleiner Auszug:
Backen mit Kindern (12/13/14 Uhr Bäckerei Vollkern)
Kinder Abenteuerwanderung (13/15Uhr Rosenberger Hof)
Puppenbühne (13/15 Uhr Rosenberger Hof)
Führungen, Reiten, Clown, Musik...Schaumelken, Strohhüpfburg, Marktstände, Traktorfahren, Baumklettern, Kutschfahrten uuuuundsoweiter.
PS: Ich wollte eigentlich auf der Rücktour ein Foto der Zufahrtsstraße machen. Aber was soll ich sagen? Ich hatte schwer damit zu tun, das Lenkrad in der einen und den mega- Rhabarberkuchen in der anderen Hand zum Mund zu balancieren, ohne beim nächsten Termin auszusehen wie ein....ähm, Kind. Boah, ist der lecker! Danke Volker!
Bäckerei Vollkern
Inhaber: Volker Apitz
Lindenhof 2
16845 Rohrlack
fon: 033928 71133
www.baeckerei-vollkern.de
Öffn.zeiten: Mo-Fr 8-18 Uhr/ Sa 8-12 Uhr